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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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unnachsichtiger Genauigkeit ein. Ich hatte aber das Gefühl, daß die Schwestern sich nicht grün waren. Wenn Anna sprach, drehte Ivana den Kopf weg. Anna war bei den Eltern geblieben, als Haus und Hof sich leerten. Sie sah womöglich noch römischer aus als Ivana, hatte aber eine schlechte Haut, ihre Stirn glänzte als Talgmond. Als sie schließlich davonging, um Wasser heiß zu machen – die Eltern hatten im Garten gearbeitet, saßen jetzt auf einem Bänkchen in der Laube und warteten darauf, daß Anna ihnen in einer rosa Plastikschüssel die Füße wusch –, wirkte Ivana wie befreit. Anna habe neben ihrer Körperkraft und Ausdauer eine große Schwäche, bemerkte sie, als die Schwester außer Hörweite war. Sie sei verlogen, und der Vater habe sie deswegen viele Male durchgeprügelt, mit Stöcken, die zerbrachen, mit Gürteln, deren Schnallen kaputtgingen, habe sie regelmäßig windelweich geschlagen, um das Lügen aus ihr herauszubekommen, aber vergebens. Anna sei mehrfach halbtot gewesen, habe aber immer weiter gelogen, es stecke in ihr drin, sei nicht herauszutreiben. Ich dachte an die ländlichen Wäscherinnen, die die eingeseifte Wäsche vielfach auf den Boden klatschten, um den Schmutz herauszuschlagen. Die Erziehungsmethoden des alten Mestrovic, aber auch die Beinhärte seiner Töchter gehörten gleichfalls in die inzwischen untergegangene Welt der kainitischen Feuerschlote und Hochöfen.

Vierundzwanzigstes Kapitel
    Bosnische Idylle
    Ivanas Mutter saß, als ich bei ihr eintrat, auf einem kleinen Stuhl mit strohgeflochtenem Sitz, wie er rund ums Mittelmeer seit Jahrhunderten hergestellt wird. Solche Stühle zu machen ist einmal ein eigener Beruf gewesen, keiner von den angeseheneren Handwerksberufen, ein »petit metier«, wie man in Frankreich gesagt hätte, von Stuhlflechtern ausgeübt, die umherwanderten wie die Scherenschleifer. Von meinem eigenen »petit metier«, dem kunsthistorischen Vagantentum aus, wäre ich berechtigt, diesen Stuhl, auf dem Ivanas Mutter saß und der fünfzig Jahre, aber auch zweihundert Jahre alt sein konnte, einen »van-Gogh-Stuhl« zu nennen – ach, hätte van Gogh doch niemals einen solchen, diesen Stuhl gemalt, hätte er ihn doch im ästhetischen Unbenannt- und Unerkanntsein belassen! Ich folge ihm nicht auf seinem Pfad, der in unserem Jahrhundert eine breite Straße werden sollte, die Gegenstände des täglichen Lebens für die Kunst auszubeuten und ins Atelierlicht zu zerren, anstatt sie im Dunkeln das wahre Fundament der Kunst sein zu lassen. Aber wer Ivanas Mutter beschreiben will, der darf ihren Stuhl nicht vergessen, diesen Stuhl, der längst ein Körperteil von ihr geworden war. Das Alter hatte sie eben nicht wie im Rätsel der Sphinx zu einem Wesen mit drei Beinen, sondern zu einem mit sechs Beinen gemacht. Auch nach acht Kindern war sie nicht dick geworden. Ihre Hüften waren breit, aber die Schultern schmal, und die Hände mit den braunen Runzeln lagen in ihrem Schoß, als hätten sie nicht ein Leben lang unablässig gearbeitet, sondern als sei dies die ihnen einzig angemessene Position, vor allem die endgültige. Daß der Mensch ein Kulturgeschöpf sei, mit Bedürfnissen, die die Natur nicht befriedigen kann, wurde in ihrem Sitzen deutlich. Stühle wuchsen nicht auf Bäumen oder Äckern und waren dem Körper doch so notwendig wie die Nahrung. Ich habe sie in mehreren Tagen nicht einmal aufstehen sehen. Ihr Sitzen war so steinern, daß man sich vorstellen konnte, sie schlafe auch auf diesem Stuhl, der wahrlich kein Ohrensessel war, sondern eine Stuhl-Reduktion, ein Stuhl-Minimum, ihr aber derart adaptiert, daß das Sitzen mit keiner Anspannung der Muskeln verbunden war, sondern in perfektem Gleichgewicht und gelassenem Insichzusammensinken gelang. Um das Ecce-Homo-Pathos des van-Gogh-Stuhls endgültig aus meinem Kopf zu vertreiben, gestattete ich mir als frischgebackenem Skulptur-Spezialisten antike Assoziationen. Derart mit ihren Stühlen verwachsen waren die römischen Priesterinnen, die in ihren eng um den Körper gewickelten Togen, unter denen sich ihre Gliedmaßen abzeichneten, auf marmornen Thronen lehnten – eine Reihe solcher thronender Frauen habe ich in der Halle der Villa Albani gesehen –, aber bei ihnen war noch zu viel Ausdruck mit diesem Bequem-zurückgelehnt-Sein verbunden, etwas Herrschaftbeanspruchendes. Das Sitzen von Ivanas Mutter war in seiner Geste noch reiner, naturnotwendiger, unabänderlicher.
    Es fällt mir schwer, mich an ihr

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