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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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stand die einfache Vorstellung, von der Wirklichkeit unbedingt gedeckt, daß es gegenwärtig in der Stadt wohl kaum einen einzelnen Menschen geben würde, der bereit wäre, ihm eine größere Summe auszuhändigen. Daß einer das Scheckbuch herauszog und dreißigtausend Mark eintrug und den Barscheck Rotzoff einfach so übergab – ausgeschlossen, nach menschlicher Voraussicht. Wie aber, wenn man diesen Betrag fraktionierte, in kleine Summen, in fünfhundert Mark oder dreihundert Mark oder von ihm aus hundert Mark – je kleiner, desto leichter abzuluchsen, dafür natürlich der Mehraufwand der Einwerbung. Geld lag auf der Straße. Geld kam den Leuten zu den Ohren heraus, hundertfünfzig Mark gaben sie leichten Herzens für ein Essen aus, warum nicht an Rotzoff für – nun ja, jetzt fiel es ihm ein: für ein Fest? Er würde ein Fest verkaufen, eine sensationelle Party mit dem allerexquisitesten Publikum, und da würden sich die Leute um die Karten doch vermutlich reißen?
    »Wo?« fragte Merzinger.
    An einem fabelhaften Ort – Rotzoff sagte »Location«, die Superlocation genaugenommen, ein für die Stadt noch unverbrauchter, hochbegehrenswerter Ort: Glücks Wohnung.
    Erst jüngst hatte er sie betreten. Glück hatte ihn nachts um drei noch auf kalten Wodka hinaufgebeten, Rotzoff hatte die leeren, potentiell überaus prachtvollen Hallen durchschritten und auch in den schwarzen Garten mit seiner Blutbuche hinabgeblickt – seltsam, da war noch kein Gedanke an das Fest vorhanden, der schlief noch, allenfalls eine kleine Wut, daß solch ein Halb-Mensch, ein Viertelsmann wie Doktor Glück eine solche Wohnung sein eigen nannte, während er, Rotzoff … Weiter als bis zu diesem Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit war er damals nicht gelangt, fruchtbar war er noch nicht geworden. Zweihundert Menschen konnten sich dort bequem tummeln, bei gutem Wetter gab es auch noch den Garten …
    »Ja, und woher nimmst du die Leute?«
    Das war das Leichteste, die Adressenliste bekam er von der Markies, die mußte sie herausrücken und würde das auch tun, die beschäftigte immer hübsche Mädchen – er drückte sich anders aus: »Frischfleisch«, er wisse, wovon er spreche –, da komme er schon dran, an diese Kartei, und er selbst kenne schließlich auch allerlei Leute, hauptsächlich freilich solche, an die er sich gegenwärtig nicht mehr wenden konnte, aber diesen Gedanken ließ er weg. Das Büfett und die Getränke mache Merzinger – Himmel, im Detail könne man das alles dann noch durchrechnen –, der Einsatz tendiere gegen Null, wenn man es richtig angehe. Ivana dürfe auch mit ran, die bekomme zum Lohn eine Kiste Paprika, Musik müsse er noch überprüfen. Das Wichtigste sei die Vorbereitung: das Gerücht, dies Schwirren in die Welt setzen, daß man auf diesem Fest unbedingt erscheinen müsse, koste es, was es wolle – und es würde nicht die Welt kosten. Sehr schön, so überlege er gegenwärtig, wäre auf dem Höhepunkt des Abends eine Unterwäsche-Modenschau – natürlich nur von atemraubenden Geschöpfen vorgeführt –, die durchsichtigen Unterhöschen kämen von der Freundin der Markies, die ein Wäschegeschäft betreibe, die würde für die Reklame dankbar sein, die Mädchen …
    Ich dachte in diesem Augenblick: Prüft er jetzt im geheimen die Option, seine eigene Freundin hier einzusetzen? Ausgeschlossen schien mir das nicht. Wenn dieser Gedanke im selben Raum zu mir geflattert kam, hatte er doch gewiß auch ihn gestreift.
    Ich hielt, wie gesagt, Abstand zu Rotzoff. Andere taten das nicht, denn so viele er sich auch schon zu Feinden gemacht hatte, manchmal mußte man glauben, seine Devise sei: Ein Tag ohne neuen Feind ist ein verlorener Tag, und als setze er seinen Ehrgeiz dahinein, gerade seine Wohltäter zu Feinden zu machen – es fanden sich immer neue Freunde, Anhänger und Bewunderer, vor allem unter den Frauen, denen gegenüber er sich, in meinem Beisein jedenfalls, geradezu garstig betrug. Sie waren oft genug spektakulär hübsch und sehr tüchtig, und ich bin keineswegs sicher, daß er sie auch nur in der Anfangsphase ihrer Bekanntschaft über seine Lage täuschte: O nein, sein Anspruch war hoch, die Frau mußte eine Augenweide sein, finanziell befriedigend ausgestattet und ihn lieben, obwohl er ihr außer rüdem Umgangston nicht viel bot – in der Öffentlichkeit jedenfalls, am Ecktisch waren gesalzene Andeutungen darüber zu hören, was hinter verschlossenen Türen geschah. Ihn selbst

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