Das Blutgericht
hatte er stoisch die Prügel der älteren Kinder ertragen. Hatte sie angelächelt, als sie zu erschöpft waren, weiter zuzuschlagen. Als er unzählige Stunden in den Krankenhäusern ertragen musste, hatte er sich nicht ein einziges Mal beschwert. Er hatte sich mit den Realitäten seines Daseins abgefunden. Von der Geburt bis zum Tod ist das Dasein aufgeteilt in eine Reihe von Abschnitten, die durch verschiedene Stufen des Schmerzes bestimmt werden, einige stärker als andere. Manche sind leicht zu erkennen. Die Geburt ist ein Ereignis voller Schmerzen und Geschrei. Wachsen, stolpern, Schläge einstecken – all das sind Formen körperlicher, geistiger und emotionaler Qual. Es folgen Verlust und Trauer. Dann stirbt man, und glücklich ist der, der dabei nicht entsetzliche Schmerzen erleidet. Verglichen mit manchen Dingen, die er hatte aushalten müssen, war es das reinste Vergnügen, sich durch das Gras zu kämpfen.
Er war Profi.
Er war nicht verrückt. Schon möglich, dass seine Vorliebe für das Töten etwas mit einer psychopathischen Marotte zu tun hatte, aber er war nicht verrückt. Jedenfalls nicht so, wie es andere Killer waren. Er war kein Abartiger, der tötete, um Trophäen zu sammeln oder um sein Verlangen nach sexueller Dominanz über ein schwächeres Wesen zu befriedigen. Er zog Frauen nicht die Haut ab, um daraus einen Hausmantel oder einen Lampenschirm zu machen, und er bewahrte auch nicht die mumifizierten Reste seiner Mutter auf dem Dachboden auf, rannte in ihren Kleidern herum und schlitzte aufreizende junge Frauen auf.
Er tötete, weil es das war, was er am besten beherrschte.
Er tötete, weil er gutes Geld damit verdiente.
Er tötete, weil er Aufträge zu erfüllen hatte.
Die anderen, die er aus eigener Entscheidung tötete, waren nur Nebenprodukte, die bei Ausübung seines Berufs anfielen. Man musste kein talentierter Auftragskiller sein, um an seinem Opfer vorbeizufahren, eine Waffe aus dem Fenster zu richten und einen Menschen zu erschießen, der vor seinem Haus auf die Straße trat. Das konnte jeder halbgare Schwachkopf. Und der wurde bald deswegen erwischt. Oder selbst getötet. Dantalion tötete auf eine Weise, die mehr Nachdenken erforderte, mehr Planung, um den größtmöglichen Effekt zu erzielen. Seine Vorgehensweise ahmte die Morde eines gestörten Serienkillers nach, nicht die eines bezahlten Auftragskillers. Es war nicht immer erkennbar, wer die Zielperson war. Oft genug gingen diese in der Masse der von ihm Getöteten unter. Die Strafverfolgungsbehörden und FBI-Teams waren ratlos, suchten nach Geisteskranken, die es gar nicht gab und die niemals eine Spur zu ihm liefern würden.
Außerdem sorgte die scheinbare Beliebigkeit und Unberechenbarkeit seiner Morde dafür, dass seine Klienten ihn fürchteten. Es trug zu seiner geheimnisvollen Aura bei und stellte sicher, dass ihm als Meister seines Faches volle und sofortige Bezahlung gewiss war. Niemand wollte es riskieren, ihn zu verärgern. Jeder wusste, was dann passieren würde.
Die meisten seiner Opfer waren Kollateralschäden. Aber sie dienten einem Zweck. Erfolg vermehrte den Erfolg. Je öfter er tötete, umso mehr Aufträge bekam er. Und umso höher konnte er sein Honorar ansetzen.
Er hatte keine Bedenken wegen der Unschuldigen, auf die seine Wahl fiel. Sie waren nur Requisiten seiner Ränkeschmiede. Außerdem verteilte er die Schuld. Es sollte ja nicht alles auf sein Gewissen abgeladen werden. Er gestand seinen Opfern die Wahl zu. Wer stirbt zuerst? Wie sollen sie sterben? Wenn sie mit dem Finger auf die Menschen zeigten, die ihnen nahestanden, dann war das halt so, das war nicht seine Entscheidung. Er war nur das Werkzeug, das ihre Wünsche erfüllte. Das mochte eine völlig gestörte Denkweise sein, das gab er zu, aber sie half ihm klarzukommen. Es enthob ihn der Belastung durch die Schuld und erlaubte ihm, das weiterzuführen, was er am besten konnte.
Nein, er war nicht verrückt.
Verrückte wissen nicht, dass sie verrückt sind. Und ihre Taten stellen sie genauso wenig in Frage.
Psychopathen reflektieren nicht über den Tod. Und mit Sicherheit teilen sie den Ruhm nicht, wie Dantalion es tat. Habgierig wollen sie alles für sich selbst beanspruchen.
Verrückte nehmen keine anderen Identitäten an. Aber bezahlte Killer tun das. Man benutzt nie seinen richtigen Namen. Nicht bei einem Handwerk, das nach Anonymität und Geheimnissen verlangt. Jean-Paul St. Pierre würden die Klienten nicht die Türen einrennen, um ihm
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