Das Blutgericht
im hohen Gras des Niemandslands zwischen Highway und Mauer lag. Er zerrte es hervor und kippte Sand und Pflanzen aus. Dann rollte er das Fass weiter und stellte es an der Grundstücksmauer auf. Falls ihn jemand sehen sollte, war er ja nur ein Parkaufseher, der sich um die Natur kümmerte. Dann wartete er, bis gerade kein Auto kam. Als die Luft rein war, stieg er auf das Fass und klammerte sich an der Mauerkrone fest. Nach wenigen Sekunden war er im Garten.
Er landete auf allen vieren und machte sich auf zu Bradley Jorgensons Haus. Er bewegte sich, als ob er dort zu Hause wäre – nur ein weiterer Staatsbeamter unter vielen –, und kam ungehindert vorwärts.
Er berührte das Buch in seiner Tasche.
Bald würde er die Zahlen in Ordnung gebracht haben.
34
Auf der Küstenstraße bemerkte ich bald, dass die nächste Haltebucht überfüllt war mit Fernseh- und Radioteams. Der Platz war so knapp geworden, dass man einen Parkaufseher dazu abgestellt hatte, den Verkehr zu regeln. Sämtliche Fahrzeuge, die nicht zu den Medien gehörten, wurden von dem Mann mit dem dämlichen Hut barsch aufgefordert, sofort weiterzufahren.
Ich fuhr weiter in südlicher Richtung auf der Suche nach einem abgelegenen Parkplatz.
Es gab jede Menge breite Sandplätze neben der Straße, auf denen man parken konnte, aber sie waren alle bereits überfüllt von den Autos der Touristen, die dort ihr Lager aufgeschlagen hatten und nun im Grasland oberhalb des Strands oder im Sand herumspazierten. Auf dem Inter-Coastal Waterway war eine Regatta im Gange, und jetzt verstand ich auch, warum hier so viel los war. Die Leute waren gekommen, um irgendein großes Bootsrennen zu sehen.
Schließlich fand ich doch noch einen Platz. Ich bog von der Straße ab aufs Gras. Der Audi hatte einen zuschaltbaren Allradantrieb, deswegen machte ich mir keine Sorgen, dass ich in dem morastigen Boden stecken bleiben könnte.
Ich versuchte es noch einmal unter Bradleys Büronummer, aber zum zweiten Mal antwortete die gleiche forsche Frauenstimme.
»Wer ist da?«, wollte sie wissen, als ich nicht reagierte.
Ich legte auf. Es war an der Zeit, mich an ein paar Leute zu wenden, bei denen ich noch was guthatte.
Ich wählte eine Nummer, die ich auswendig gelernt hatte, und wartete, bis sie verschiedene Rufumleitungen durchlaufen hatte. Es dauerte eine Weile, bis der Anruf angenommen und ich aufgefordert wurde, eine Zahlenkombination auf meinem Telefon einzugeben. Man forderte mich auf, die Kombination zu bestätigen, was ich tat, und dann wurde ich zu einem weiteren Anschluss im CIA-Hauptquartier an der Küste Virginias durchgestellt.
Nachdem ich einige Zeit bei den britischen Special Forces gedient hatte, bin ich zu einer Spezialeinheit zur Terrorismusbekämpfung eingezogen worden, die sich aus den besten Soldaten der UN-Mitgliedsstaaten zusammensetzte. Rink gehörte zur gleichen Einheit. Letztendlich erhielten wir unsere Befehle von Vorgesetzten, die sich auf einer Basis mit dem Codenamen »Arrowsake« befanden – benannt nach einem der Orte, an denen William Melville, der erste Leiter des britischen Geheimdiensts, angeblich seine Rekruten zum Kampf gegen deutsche Spione ausgebildet hatte. Aber da zu unserer Einheit Mitglieder aus verschiedenen Staaten gehörten, hatten wir Anlaufstellen in jedem dieser Länder. In den USA war Walter Hayes Conrad IV. mein Kontaktmann, Leiter einer Unterabteilung der CIA.
Als sich das Gesicht des modernen Terrorismus nach dem 11. September änderte, wurden auch die Methoden der Terrorismusbekämpfung angepasst. Öffentlichkeitsarbeit und die Überwachung von Bankkonten wurden wichtiger als Angriffe auf Terroristenlager. In den Augen mancher Leute war meine Einheit ein Dinosaurier, der auf den Friedhof der Geschichte gehörte. Unser Schicksal war besiegelt – ganz wie es das der echten Dinosaurier gewesen war. Ich stieg aus, kurz bevor meine Einheit aufgelöst wurde. Unsere Kontaktleute wurden zu ihren ursprünglichen Abwehrdiensten zurückberufen. Die meisten hatten dort immer noch großen Einfluss. Walter zum Beispiel.
»Sie müssen mir einen Gefallen tun, Walter«, sagte ich.
»Warum rufen Sie eigentlich immer nur an, wenn Sie etwas von mir wollen, Hunter?«, fragte er.
»Weil ich weiß, dass Sie mich nicht hängen lassen«, sagte ich.
»Schmeichelei bringt Sie, wie Sie wissen sollten, auch nicht weiter.«
»Besser Schmeichelei als Bestechung, oder?«, sagte ich.
Walter schuldete mir ganz schön was. Zum einen war ich
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