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Das böse Auge

Das böse Auge

Titel: Das böse Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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Beteuerungen, sie würde bald wieder ganz von allein gesund, konnten Luxon nicht täuschen. Sie hatte schreckliche Angst vor den Valunen und davor, daß sie ihn ihr fortnahmen. Sie magerte ab, so daß Luxon zu fürchten begann, sie müßte ihm unter den Händen wegsterben, wenn nicht bald etwas geschah, das ihre Stimmung hob. Alle Speisen ließ sie unangerührt stehen.
    So kam es, daß auch Luxon die Zwerge zu hassen begann und immer öfter in den Turm stieg, um Ausschau zu halten nach ihnen. Und eines Tages sah er sie.
    Er konnte sie in der Düsternis nicht als Gestalten ausmachen, aber er sah ihre Augen, Hunderte von leuchtenden Punkten am Fuß der Burg. Der ganze Stamm mußte ihm gefolgt sein. Aber wie war das möglich?
    Es schien, als richteten die Valunen sich auf eine lange Belagerung ein. Sie bewegten sich nicht von der Stelle. Doch wo immer Luxon auch aus einem Fenster oder von einer Brüstung herabblickte, sah er sie. Und sogleich begannen ihre schrecklichen Augen mit ihrem betörenden Farbenspiel.
    Wenn er ihrem Zauber erlag, war es um ihn geschehen. Er würde dann nicht nur Cyrle verlieren, sondern von neuem in ihre Gefangenschaft geraten und über kurz oder lang elend zugrunde gehen.
    Einmal rettete ihn Dai im allerletzten Moment davor, als er sich schon auf den Stufen zum Burghof befand und im Begriff war, das Haupttor zu öffnen. Sie führte ihn in seine Gemächer zurück und blieb bei ihm, bis der Bann wieder von ihm abgefallen war. Dai redete beschwörend auf ihn ein, gar nicht wie ein Kind, und manchmal gebrauchte sie die gleichen Worte wie Cyrle. Einmal sah er den Zorn in ihren blinden Augen aufflackern – und den gleichen Haß, der aus ihrer Mutter gesprochen hatte.
    Seltsamerweise wollten die Valunen nicht sie, der sie den Vorzug vor ihm gegeben hatten, zurück, sondern ihn. Das wurde ihm spätestens da klar, als sie zum erstenmal ihre Klagerufe anstimmten.
    Bis dahin war er im Glauben gewesen, es genüge vollauf, wenn er nicht auf sie herabblickte. Doch ihre Rufe und Gesänge hatten fast die gleiche verheerende Wirkung auf seinen Geist wie ihre Blicke. Er fand keinen Schlaf mehr, hörte immer nur seinen Namen, und wanderte rastlos durch die Burg, deren Mauern ihn nicht länger vor seinen Peinigern schützten.
    Bis zuletzt sträubte er sich dagegen, Cyrle danach zu fragen, wie sie sie ohne die Hilfe ihrer Drachen vernichten wollte. Tatsächlich hatten diese sich in die Lüfte erhoben, als die Valunen anrückten, und waren seitdem verschwunden. Luxon rang mit sich. Auf der einen Seite konnte er es nicht länger ertragen, Cyrle leiden zu sehen, zumal ihr Zustand sich nach dem Auftauchen der Zwerge noch schneller verschlechterte. Andererseits aber sagte er sich, daß die Valunen im Grunde nichts Böses taten. Sie wußten ja nicht, was sie mit ihren Blicken anrichteten.
    Sicher liebten sie ihn sogar – auf ihre Weise.
    Dermaßen innerlich gerüttelt, bedurfte es eines weiteren Zwischenfalls, um ihn die so lange hinausgezögerte Frage stellen zu lassen.
    Er kam von einem seiner Besuche bei Cyrle zurück und war verzweifelter denn je. Sie, die ihm das einzige strahlende Licht in der allgegenwärtigen Finsternis gewesen war, war nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Ihr Gram zehrte sie auf. Und er litt jede ihrer Qualen doppelt und dreifach mit. Er wußte nicht mehr aus noch ein. Er rief nach Dai, denn er fühlte sich schrecklich einsam. Die Burg hatte etwas Bedrückendes bekommen. Doch das Kind antwortete nicht. Es war nirgends zu finden. In seinem Zorn rannte Luxon zu einem der Fenster und schleuderte alles, was ihm in die Hände kam, auf die Zwerge hinab.
    »Geht weg!« schrie er. »Verschwindet und laßt mich in Ruhe! Ich komme nie mehr zu euch zurück! Sucht euch einen anderen!«
    Zu spät zog er sich zurück. Er war zwar noch halbwegs Herr seiner Sinne, doch lange genug hatte er in die glühenden Augen geblickt. Haltlos taumelte er auf sein Lager und blieb schwer atmend auf dem Rücken liegen. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Immer wieder sah er Cyrle vor sich – wie sie gewesen war, und wie sie jetzt dalag. Etwas legte sich schwer wie ein Mühlstein auf seine Brust, auf seinen Geist.
    Und dann hörte er sie.
    Er hörte ihr klagendes Rufen, ihre Gesänge. Luxon versuchte, gegen das anzukämpfen, was von ihm Besitz ergriff, doch es war stärker als er.
    Wie ein Schlafwandler stand er auf. Die Blicke seiner Augen waren starr in die Ferne gerichtet. Langsam setzte er einen Fuß vor den

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