Das böse Auge
ihrer Stimme verschwunden. »Auf dem Rücken eines Drachen flog ich über die Berge im Norden. Und ich sah sie, wie sie deiner Fährte folgten. Ich sah… diese verfluchten kleinen Zwerge!«
Auch Luxon hielt es nicht mehr auf dem Stuhl. Er sprang auf und wollte nach Cyrle greifen. Doch sie entzog sich ihm erneut. Sie war in diesen Augenblicken völlig verwandelt. Was nun aus ihren Blicken sprach, das war Haß, abgrundtiefer Haß. Luxon war es, als sähe er sie nun zum erstenmal.
»Cyrle, wie sollen sie unserer Fährte gefolgt sein, wenn Dai und ich hoch über den Gipfeln von den Drachen davongetragen wurden?«
»Sie tun es! Bei den Göttern, sie tun es!«
Sie zitterte plötzlich. Tränen traten in ihre Augen. Bei dem Anblick drehte sich Luxon der Magen um. Er stand vor ihr und wollte etwas sagen, um sie zu trösten. Doch er fand die Worte nicht. Hilflos sah er sie weinen und hörte ihr Schluchzen. Und es quälte ihn. Er hatte Angst davor, daß sein Traum zu Ende sein konnte, bevor er erst richtig begonnen hatte. Er konnte sie nicht leiden sehen, er konnte es nicht!
»Sie werden kommen«, schluchzte sie. »Dann werden sie vor den Toren stehen und nach dir rufen. Und du wirst zum Söller gehen und in ihre Augen blicken…«
»Niemals!« rief Luxon aus.
»Doch! Du wirst es tun, weil du es tun mußt. Aber…« Sie stürzte auf ihn zu und umklammerte ihn. »Aber ich kämpfe um dich, Luxon! Wir werden sie töten, hörst du? Wir vernichten sie!«
Sie wurde ihm unheimlich. Jetzt war er es, der vor ihr zurückwich.
»Willst du deine Drachen auf sie hetzen?« fragte er entgeistert.
»Nicht die Drachen. Vier haben sie schon getötet, und keinen weiteren werde ich opfern. Es gibt einen anderen Weg…«
Wie konnte sie so reden? Wie konnte sie so grausam sein? Selbst falls sie recht hatte und die Valunen über kurz oder lang hier erscheinen würden, kämen sie noch lange nicht an ihn heran. Er kannte die Gefahr ihrer Blicke besser als Cyrle und würde sich davor zu schützen wissen. Und warum war sie mit dem Töten so schnell bei der Hand?
Was war wirklich geschehen, daß Naro sterben mußte?
Aber als hätte sie seine Gedanken erraten, klärten sich ihre Züge, und schon wieder begann sie zu lächeln.
»Wir werden uns durch nichts und niemanden trennen lassen, mein Prinz«, flüsterte sie. »Du hast sicher recht. Verzeih mir meine Unbeherrschtheit. Es ist nur…« Sie war bei ihm und küßte ihn. »Ich mußte daran denken, daß sie mir schon einmal einen geliebten Menschen nahmen – Dai.«
Und Luxon ließ sich von ihrem Zauber gefangennehmen. Vergessen war aller Argwohn, als sie ihn wenig später allein in seinen Gemächern zurückließ. Nur der Gedanke daran, daß sie litt, quälte ihn.
Cyrle aber war zufrieden, als sie sich in jenen Teil der Felsenburg begab, den sie Luxon vorenthielt. Sie verwandelte sich in Quida und wirkte ihre Magie, die allerdings nicht verhindern konnte, daß die Valunen vor den Toren erschienen.
So mächtig die Hexe auch war, sie konnte die Zwerge nicht aufhalten – und sie wollte es gar nicht mehr.
Luxon sollte leiden. Dies war erst der Anfang. Er war in einer Leidenschaft entflammt, die nur schwerlich wieder zu löschen sein würde. Er war von der Schönheit und der Liebe einer Frau gefangen, wie sie ihm in keinem Liebestraum erschienen war. Die Angst, diese Frau zu verlieren, sollte ein Vorgeschmack auf das sein, was ihn danach erwartete – wenn er erkennen sollte, wem er seine Liebe geschenkt hatte.
Doch selbst das war nicht Strafe genug für ihn. Er sollte ins Böse Auge sehen – und mit den Valunen darin vergehen.
Quidas schauriges Lachen erfüllte die Burg, doch Luxon hörte es nicht.
Achar! dachte die Hexe. Bist du mit mir zufrieden?
Es wurde Zeit, daß Dai wieder in Erscheinung trat. Sie sollte Luxon foltern, ihm von der Seelenpein ihrer Mutter kundtun, ihm seine Qualen versüßen, ihm weitere Lügenmärchen erzählen wie das vom bösen Zauberer Naro.
Für Luxon begann eine Zeit der quälenden Ungewißheit, der Hilflosigkeit und Zweifel. Seit jenem Mahl, bei dem sie ihm ihre Ängste gestanden hatte, war Cyrle kein einzigesmal mehr zu ihm gekommen. Dai erschien statt ihrer und führte ihn in Cyrles Gemächer, wo Luxon die Angebetete von Besuch zu Besuch schwächer vorfand. Aus dem gleichen geheimnisvollen Grund wohl, aus dem Dai nie an ihren Mahlzeiten teilgenommen hatte, ließ sie Luxon auch nun allein zu ihrer Mutter gehen.
Cyrle war tapfer. Doch all ihre
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