Das boese Blut der Donna Luna
war stets ausschließlich beruflicher Natur. Natürlich habe ich mich in der ersten Zeit um sie gekümmert, als sie allein war und keine Freunde hatte, und sie war mir dafür sehr dankbar, doch mehr war da nicht. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen, als sie so plötzlich gegangen ist.«
»Und wenn sie gar nicht gegangen wäre?«
»Wie, wenn sie gar nicht gegangen wäre?« Er blinzelte verdattert.
»Will sagen, wenn sie gegangen wäre, aber ins Jenseits?«
Manara wirkte ehrlich verblüfft.
»Aber was reden Sie da? Wieso sollte ... Hat die Polizei etwa ...«
»... ihre Leiche gefunden? Nein, Avvocato, aber das kann immer noch geschehen. Und auch, wenn wir sie nicht finden, gibt es konkrete Anlässe zu dieser Vermutung. Wir gehen davon aus, dass sie das erste Opfer des Serienmörders oder der Serienmörder war, die in Genua gerade ihr Unwesen treiben. Und der oder die sich ihre Opfer offenbar unter Ihren – wie Sie es nennen – Hilfsempfängerinnen sucht beziehungsweise suchen.«
Manara sah abermals auf die Uhr, dann sprang er auf. Widerwillig tat Marco es ihm gleich. Dafür, dass er innerlich eine total verängstigte und panische Ratte ist, hat der sich großartig unter Kontrolle.
»Interessante Vermutung, aber ohne jede Grundlage, habe ich recht, Dottor Auteri? Ich bin überzeugt, dass Flores in der Schweiz ist und sich bester Gesundheit erfreut. Ich habe seit Monaten nichts von ihr gehört. Entschuldigen Sie mich, ich habe einen wichtigen Termin.«
Als sie zusammen zur Tür gingen, trat die füllige Hausangestellte hinter einem Vorhang hervor und sagte in herrischem Ton: »Chicco, wo du schon losgehst, bring Brot fürs Abendessen mit, das übliche, und vergiss es nicht wieder, es ist nämlich keins mehr da.«
Als er sich vor der Haustür von Marco verabschiedete, fühlte sich Manara zu einer Erklärung bemüßigt: »Angiolina war mein Kindermädchen, wissen Sie, sie hält mich noch immer für einen kleinen Jungen. Auf Wiedersehen, Dottor Auteri.« Im Laufschritt eilte er die Salita Santa Caterina hinauf und verschwand.
XV
Ein glühend heißer Samstag auf der Autobahn Richtung Norden. Nelly fuhr Tanos klimatisierten Dienstwagen. Im Croma konnte man es mit der Hitze aufnehmen. Ihre Entscheidung war so plötzlich gekommen, dass sie selbst ganz überrascht gewesen war, und dennoch hatte etwas sie davon abgehalten, dem neugierigen Polizeivize den Grund und das Ziel ihrer Reise zu nennen. Zu gern hätte er gewusst, was sie vorhatte, doch er kannte Nelly und wusste, dass sie sowieso immer tat, was sie wollte. Er hatte ihr einen besorgten Blick zugeworfen, sie eindringlich gebeten, auf ihren Kreislauf achtzugeben, und sie mit fürsorglichen Ermahnungen überhäuft. Als wäre er mein Ehemann oder mein Vater. Die Männer kennen wirklich keinen Mittelweg, entweder sind sie gleichgültige Arschlöcher oder sie betutteln einen wie eine alte Tante. Sie war genervt und gerührt zugleich. Es war ungefähr elf Uhr, und die Autobahn, die sie nach Lugano in die Schweiz bringen sollte, war befahren, aber nicht übermäßig voll. Sie hatte die alte LKW-Straße gewählt, weil sie kürzer war, erreichte anderthalb Stunden später die Mailänder Umgehungsstraße und fädelte sich auf die Autobahn Richtung Como-Chiasso ein.
An der Grenzraststätte hielt sie an, um (wie sie Tano versprochen hatte) etwas zu trinken, und stellte sich in die Schlange der Touristen, die der Hitze in die Schweiz oder nach Nordeuropa zu entfliehen versuchten. In zwei Stunden – ihre persönliche Rekordzeit – hatte sie Lugano erreicht und bog nach rechts Richtung Melide ein, wo Palmieri seinen Wohnsitz hatte. Sie fuhr am See entlang, aus dessen tiefblauem Wasser die Berge wie Riesen herauszuwachsen schienen. Rechter Hand säumten Villen die Straße, deren Parks bis an den See reichten. Links waren Häuser mit Gärten und Garagen. Die Gegend erinnerte an die ligurische Küste, und dennoch war es anders. Die Luft war reglos und heiß, aber kein bisschen schwül. Alles sah gepflegt und ordentlich aus. Italien und doch nicht mehr Italien, war Nellys Eindruck. Italien, wie es hätte sein können? Die Hausnummer auf einem rechts gelegenen Gartentor zeigte ihr an, dass sie ihr Ziel erreicht hatte. Sie fuhr noch ein Stück weiter bis zum Dorfausgang, parkte den Wagen in einer Haltebucht und ging zu Fuß zurück, während die leicht hysterische Aufregung, die sie bis dahin angetrieben hatte, zu schwinden drohte.
Was zum Henker hat mich bloß
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