Das boese Blut der Donna Luna
eine Stunde später davon erfuhr und besorgt in ihr Büro kam, war Nelly bereits wieder wohlauf, grinste ihn breit an und sagte mit einem Augenzwinkern in Valerias Richtung: »Jetzt wird es auch noch heißen, ich sei schwanger!« Das schallende Gelächter der drei ließ die Schreibtischsklaven auf der gesamten Etage hochschrecken und sich wundern, wie jemand bei 90 Prozent Luftfeuchtigkeit, wie es panikmacherisch im Fernsehen geheißen hatte, noch die Kraft zu lachen aufbrachte.
Freitag, früher Nachmittag. Nelly saß in ihrem Büro und wählte schon seit mehreren Minuten erfolglos eine Nummer auf ihrem Handy. Dass niemand antwortete erfüllte sie mit einer diffusen Unruhe. Sie fluchte leise. Valeria stand in der Tür und sah sie fragend an.
»Ich verstehe das nicht, Valeria. Gemma Pieretti, diese Journalistin vom ›Secolo‹, hatte gesagt, sie wolle mich unter vier Augen sprechen, aber dann hat sie sich nicht mehr gemeldet, und jetzt erreiche ich sie nicht. Ihr Handy scheint abgeschaltet zu sein. Hat die vielleicht hier im Büro angerufen?«
Als Valeria verneinte, schüttelte Nelly ratlos den Kopf. Obwohl sie sich nach dem morgendlichen Schwächeanfall noch immer leicht benommen fühlte und einen Kopf wie aus Watte hatte, war Nelly nicht einmal der Gedanke gekommen, nach Hause zu gehen und sich auszuruhen. Die Stunden und Minuten bis Montag – es war bereits Freitag –, bis Neumond und bis zu einem neuen grausamen Verbrechen verstrichen unaufhaltsam, es war keine Zeit zu verlieren. Unterdessen hatte die Suche nach namenlosen, nicht identifizierten Frauenleichen begonnen, die in den vergangenen drei Monaten gefunden worden waren, man hatte sich über Interpol auch an die Schweizer Polizei gewandt, um herauszufinden, ob eine gewisse Flores Echevarría in das Land eingereist war und ob es von ihr irgendeine Spur gab.
Also, Gemma Pieretti hat sich nicht gemeldet und ist nirgends zu finden. Seltsam, es schien so dringend zu sein ... Sie rief in der Redaktion an, nichts, niemand hatte sie gesehen. Ach, ja, sie hatte wissen lassen, sie werde heute später kommen, weil sie etwas recherchieren müsse, und für den Nachmittag habe sie ein paar Interviews geplant.
Zur selben Zeit, es war drei Uhr, klingelte Gemma Pieretti, mit Aufnahmegerät und winziger Kamera bewaffnet, am Gartentor der Villa Camelia. Sie war schrecklich aufgeregt. Erfolg war für sie noch berauschender als Sex, und das hier war wirklich ein absoluter Volltreffer. Palmieri hatte sich bei ihrer Interviewanfrage nicht geziert, im Gegenteil, er was sehr höflich und interessiert gewesen. Allerdings hatte er sie gebeten, keinen Fotografen mitzubringen und mit niemandem darüber zu sprechen, denn das, was er ihr zu sagen hätte, würde der Polizei womöglich nicht schmecken. Er musste sie nicht lange bitten: Gemma verfolgte eine konkrete Spur und hatte nicht vor, den Knochen mit jemandem zu teilen. Was sie dem Kriminologen sagen wollte und die Fragen, die sie ihm stellen würde, waren dermaßen saftige Bissen, dass jeder andere davon ausgeschlossen bleiben musste, um den Überraschungseffekt nicht zu schmälern. Zum Teufel mit Dottoressa Rosso, dann liest sie meinen Artikel eben in der Zeitung! Die Journalistin war auch ein bisschen nervös, zwang sich jedoch, ruhig und tief zu atmen, während sie sich den blau-grün geblümten Rock glattstrich, den sie wohlüberlegt mit einem orangefarbenen Top kombiniert hatte. Zwar war ihr Kleidung relativ schnuppe, aber diese Gelegenheit erforderte nun mal ein Minimum an Schick. Sie sah hoch, und das Tor sprang von alleine auf. Gemma betrat den menschenleeren Garten, nur das hohe Zirpen der Grillen durchbrach die Siestastille.
In dem Moment, in dem Gemma die Villa Camelia betrat, stieg Marco die Marmortreppe zur Wohnung der Familie Manara hinauf. Er war mit dem Anwalt verabredet. Er klingelte und horchte. Von drinnen war Rascheln und Flüstern zu hören, dann machte eine beleibte, ältliche Hausangestellte die Tür auf und bat ihn herein. Die Wohnung war ziemlich dunkel, man konnte eine geräumige Genueser Wohndiele erkennen, einen blankgebohnerten Terrazzoboden mit Blumendekor, schwere Samtvorhänge, hinter denen sich die Türen verbargen, die in die anderen Zimmer oder zu einem Flur führten. Der Eingang war mit einer riesigen vergoldeten Spiegelkonsole (aus dem achtzehnten Jahrhundert? Echt?) und einem amarantrot bezogenen Samtsofa möbliert. Die Frau, die mühsam vor ihm her watschelte, führte Marco in
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