Das boese Blut der Donna Luna
sagte, er sei körperlich und psychisch am Ende und wolle versuchen, ihren Rat zu befolgen. Sie blickte ihm nach, er wirkte abgemagert, völlig ausgelaugt. Kopfschüttelnd fragte sie sich, was dieser mörderische Sommer mit ihm, mit ihr, mit allen anstellte.
Nelly versuchte ihre Gedanken zu ordnen, die wie wild gewordene Atome durch ihren Kopf sausten, schlenderte langsam und ohne ein bestimmtes Ziel Richtung Altstadt und fragte sich, was aus Amanda geworden war. Sie hatten sich nicht mehr gesehen und gesprochen, doch inzwischen musste sie Tanos Wutausbruch wegen der in Umlauf gebrachten Gerüchte verdaut haben. Und wenn nicht, Pech für sie. Sie rief sie auf dem Handy an.
»Sacco? Ich bin’s, Rosso. Wo bist du?«
»Wir überprüfen die Alibis der Mitarbeiter bei ›Mani amiche‹. Und hören uns ein bisschen um.«
»Gut. Gerolamo kommt auch, um dir zu helfen. Wir hören uns später.«
Während sie in der Via Luccoli gedankenverloren vor einem Schaufenster stand und eine Kette aus rotem Korallenschaum betrachtete, die ihr gefiel, spürte Nelly einen bohrenden Blick im Nacken. Es kitzelte regelrecht. Sie drehte sich um und entdeckte Balmir, den Zuhälter von Lena und Samira, der in einiger Entfernung hinter ihr stand und sie anstarrte. Auf seiner Visage lag ein unschlüssiger Ausdruck. Untypisch für einen schmierigen, aber knallharten Typen wie ihn.
»Balmir, wie läuft’s?«, sagte sie, ehe sie darüber nachdenken konnte. Auf seinem Gesicht erschien ein breites Grinsen, er kam auf sie zu, blickte sich um und raunte:
»Können Sie mir unauffällig folgen, Commissario? Ich muss mit Ihnen reden, aber es soll keiner sehen, dass ich mit der Polizei rede. Sonst denken meine Freunde noch, ich bin ein Informant.«
Was hatte sie denn noch zu verlieren? Außerdem machte es sie neugierig, dass einer wie Balmir Kontakt zu ihr suchte. Er verabschiedete sich mit einer verschwörerischen Geste, machte auf dem Absatz kehrt und ging Richtung Piazza Banchi davon. Sie schlenderte wie von ungefähr hinter ihm her und gab dabei acht, dass niemand sie beobachtete. Auf der Piazza Banchi bog er in die Via San Luca ab, dann nach rechts Richtung Palazzo Spinola di Pellicceria. Ein paar Gassen weiter, Nelly glaubte schon, der Typ wollte sie verarschen, bog er in ein enges Gässchen ein und verschwand nach ein paar Schritten in einem Hauseingang. Nelly zögerte kurz, steckte die Hand in die Tasche, umfasste den Knauf ihrer Pistole und trat ebenfalls ein. Drinnen war es dunkel und kühl. Das grelle Sonnenlicht draußen hatte sie fast blind gemacht, sie kniff die Augen zusammen und entdeckte Balmirs hagere Silhouette neben dem Treppengeländer. Ein Lichtkegel fiel durch ein Fenster ganz oben im Treppenschacht auf ihn herab und ließ ihn wie einen Außerirdischen aussehen, der gerade sein Raumschiff verlassen hatte oder es betreten wollte. Instinktiv trat der Mann aus dem Licht ins schützende Dunkel. Seine Zähne leuchteten weiß, als er zu reden anfing.
»Commissario, ich spreche für viele andere, die lieber nicht in Erscheinung treten möchten. Kollegen und andere.«
Nelly blickte ihn angestrengt an, doch es war unmöglich, seinen Gesichtsausdruck auszumachen.
»Es sind viele schreckliche Dinge passiert. All diese Frauen. Schrecklich auch für unsere Arbeit, sehr schrecklich. Lena, Samira, die anderen ermordeten Frauen ... Der, der so was tut, muss gefasst werden.«
Pause, Seufzer. Der Polizei einen Wink zu geben musste ihm wirklich schwerfallen.
»Die drei Südamerikaner, die, die umgebracht worden sind, saßen Sonntagnachmittag zusammen vor dem Club ›Speranza‹. Der Anwalt von ›Mani amiche‹ kommt vorbei, lang und grau – was für eine treffende Beschreibung für Manara –, grüßt, redet mit denen und geht weiter. Kurz darauf stehen sie auf und gehen in dieselbe Richtung wie der Anwalt, nach ... hier.«
Nelly spürt, dass sich endlich etwas bewegt, wie ein winziger Riss in einem riesigen Deich. Wird er ihn zum Einsturz bringen können? Oder wird er sich gleich wieder schließen, ohne dass etwas geschieht?
»Die Südamerikaner sind in dieses Haus gegangen, hier rein, wo wir gerade sind.«
Dieses Arschloch von Balmir machte eine ewig lange Kunstpause und stellte Nellys Nerven auf eine harte Zerreißprobe. Doch sie schwieg und wartete. Ein wenig enttäuscht von der mangelnden Reaktion seines winzigen Publikums, entschloss sich Balmir, zum Schluss zu kommen.
»Niemand ist hier rausgekommen, zumindest hat man
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