Das boese Blut der Donna Luna
nicht?«
Er erhob sich, noch gebückter als sonst und ohne jemanden anzusehen.
»Ich bin froh, wenn jetzt alle Missverständnisse geklärt sind. Sie entschuldigen mich doch?« Er ging hinaus. Ein paar Sekunden lang saßen Nelly und Tano wie versteinert da.
»Was für eine traurige Geschichte, was für ein Unglück, dieser Mann scheint vom bösen Blick, von einem bösen Zauber verfolgt zu sein. Wie viel Kraft braucht es, um solche Schicksalsschläge wegzustecken.«
Tanos weiche, sentimentale Seite war zum Schwingen gebracht worden. Er wirkte gerührt. Nelly schnaubte entnervt.
»Na schön, Unglück hat er reichlich erlebt, da gibt’s nichts zu zwacken. Vielleicht sogar ein bisschen zu viel, um wahr zu sein, meinst du nicht?«
»Glaubst du ihm nicht? Wir können alles haarklein überprüfen.«
»Seine Wut auf mich ist auf einen Schlag verpufft, als ich ihm gesagt habe, dass es keine gute Idee wäre, wenn wir in seinem Privatleben rumwühlten. Bis dahin hat er den Entrüsteten gemimt, er wollte mir ordentlich einheizen, und dann hat er sich plötzlich am Riemen gerissen und uns eine astreine Geschichte vorgesetzt, keine Frage, aber mit den Drohungen war plötzlich Schluss – oder siehst du es anders?«
»Nelly«, Tano klang wie ein Vater, der mit seiner dickköpfigen Tochter spricht und langsam die Geduld verliert, »was willst du? Was hat er dir getan, dieser Alessandro Palmieri? Du hast ihn gewollt, bisher hat er sich als professionell und nützlich, wenn auch nicht unabdingbar erwiesen, doch seit einer Weile hast du dir in den Kopf gesetzt, er hat was mit diesen Morden zu tun, stimmt’s? Du verdächtigst ihn. Bist du eigentlich völlig übergeschnappt? Liegt’s an der Hitze, dass dein Kreislauf und dein Hirn verrückt spielen? Was für Indizien hast du denn, was für Beweise? Kannst du mir das sagen? Gibt es etwas, das ich nicht weiß? Das ich wissen sollte?«
»Ich weiß, es klingt verrückt, aber etwas sagt mir, dass er damit zu tun hat, dass er nicht der ist, der er zu sein vorgibt. Ja, ich verdächtige ihn«, sie beugte sich vor, »und nicht erst seit gestern, muss ich mir ehrlicherweise gestehen. Aber ich könnte nicht sagen, was mich darauf gebracht hat.« Sie hob die Hand, denn Tano wollte ihr ins Wort fallen. »Schon gut, schon gut, vielleicht mache ich einen Riesenfehler, ich werde versuchen, ihm gegenüber objektiver zu sein.«
»Nelly, was ist mit dir los?«
»Wenn ich’s wüsste! Auch diese Sache, dass Gemma verschwunden ist, und just nach einer Verabredung mit ihm, verdammt, wollen wir denn da nichts machen?«
»Und an was hättest du da gedacht, an einen Durchsuchungsbefehl für Villa Camelia? Glaubst du, er hält sie im Haus gefangen? Oder vielleicht durchsuchen wir sämtliche anderen Wohnsitze, die Alessandro sein Eigen nennt?«
»Sämtliche anderen Wohnsitze ... Er hat doch auch eine Villa am Meer oder ein Haus, wenn ich mich richtig erinnere, wo ist das? Ist das vermietet oder frei? Auf den Hügeln, im Hinterland ...«
»Jetzt reicht’s, Nelly, willst du mich vollkommen irre machen?«
»Und wenn er sie dort hingebracht hätte? Wenn er sie dort hinbringen würde? Vielleicht lebt sie noch ...«
»Nelly, komm zu dir, was redest du da?«
Doch Nelly verabschiedete sich hastig mit einem »Wir sehen uns« und ließ ihn verdattert sitzen.
Valeria gab ihr die Adresse des Hauses am Meer, und Nelly wollte sich gerade auf den Weg machen, als Gerolamo mit Tommi hereinkam. Sie wirkten erschöpft (am frühen Morgen!) und frustriert. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört, ein totaler Reinfall. Der Ducato vom Club ›Speranza‹ schien sauber zu sein, keine Spur, die darauf hindeutete, dass damit blutige Leichen transportiert worden wären. Nelly nutzte die Gelegenheit, um Tommi nach Pieve zu schicken, zu Palmieris Haus am Meer. Er sollte sich umsehen, herausfinden, ob es bewohnt war oder nicht, ein Foto machen. Sie wollte es sehen. Und vor allen Dingen wissen, welche Farbe es hatte. Die beiden sahen sich ratlos an, Tommi steckte die Adresse ein und machte auf dem Absatz kehrt. Nelly bat Valeria, Alessandros Angaben über die Schwester und das Verschwinden seiner Lebensgefährtin zu kontrollieren, und verließ ohne den leisesten Schimmer, was sie als Nächstes tun sollte, das Büro.
Auf den Stufen vor dem Präsidium wurden ihr plötzlich die Knie weich. Sie fing sich wieder und ging durch die sengende Sonne zur Bar an der Ecke Via Brigata Liguria und Via Macaggi. Während sie einen
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