Das boese Blut der Donna Luna
Frauen auf die Nerven, und zwar ausnahmslos.
Als sie aus dem Gebäude der Gerichtsmedizin in die gleißende Sonne hinaustraten, von der eine ungute, ungesunde Kraft auszugehen schien – so zumindest empfand es Nelly –, und sich von Madame Claire verabschiedet hatten, wandte sich die Kommissarin nachdenklich an ihren Vize.
»Marco, ich will mit Tano etwas besprechen. Wir haben zwar Psychologen, die wir um Rat fragen können, aber ich würde gerne einen echten Fachmann dazu hören.«
Marco sah sie verständnislos an und runzelte die Stirn.
»Einen echten Fachmann für was?«
»Für Orchideen. – Für Serienmörder natürlich!«
»Nora Risso war immer eine gute Hilfe, die hat wirklich Ahnung. Oder, wenn wir die Sache extra an die große Glocke hängen wollen, die berühmte Polizeieinheit für Serienmörder.«
Nelly ging auf die letzte Bemerkung nicht ein, auch wenn sie sinnvoll war.
»Stimmt, Nora Risso. Eine hervorragende Spezialistin, davon bin ich überzeugt, wir kennen sie schon lange, und sie hat immer gute Arbeit geleistet, doch diesmal würde ich gern jemand anders zu Rate ziehen. Jemanden, der von außen kommt.«
Sie sagte nicht, dass Signora Rissos Einschätzung Gianlucas als »schwache, schizoide Persönlichkeit mit Hang zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen« sie kein bisschen überzeugt hatte. Vielleicht war Gianluca tatsächlich eine schwache Persönlichkeit, doch in ihren Augen war er nicht mehr oder weniger gewaltbereit als jeder andere Mensch auch, sie und die Risso eingeschlossen, und zu so einer grausamen Raffinesse fähig schon gar nicht.
»Ich wette, du hast bereits jemanden im Kopf.«
»Ja, Alessandro Palmieri. Ein Kriminologe, der letztes Jahr ein Buch zum Thema veröffentlicht hat. Ich kannte es nicht, hab’s erst in diesen Tagen gelesen, als ich mich schlau gemacht habe. Sehr interessant. Es hat den aseptischen, ein bisschen provokanten Titel ›Serienmörder?!‹ und war, scheint’s, ein großer Erfolg.«
»Das spricht aus meiner Sicht nicht gerade dafür. Klingt irgendwie flach, populärwissenschaftlich, fürs breite Publikum. Jetzt, wo ich den Titel höre: Ich glaube, ich hab ein paar Rezensionen gelesen. Soweit ich weiß, wohnt der Autor in der Nähe von Mailand.«
»Am Luganer See. Ich glaube aber, er ist in Genua geboren oder hat hier ein paar Jahre gelebt. Nein, es ist nicht populärwissenschaftlich im negativen Sinn. Packend geschrieben, das ja. Und es liefert ganz neue Ansätze. Lies es, Marco. Es wirft ein völlig neues Licht auf das Thema. Ich kann’s dir nicht in zwei Worten erklären.«
»Frag doch lieber gleich den Teufel persönlich, der kennt sich mit Serienkillern am besten aus.«
»Lass uns ins Präsidium fahren, ich will sofort mit Tano darüber reden.«
Tano Esposito knetete sich ratlos das Kinn. Seine hellen Augen wanderten zwischen Nelly und Marco hin und her, während sein Hirn auf Hochtouren lief. Keine Frage, der von Nelly vorgeschlagene externe fachliche Beistand ließ sich gewiss organisieren. Außerdem wurde der Fall allmählich genauso heiß wie dieser höllische Juli. Vier Frauen in so kurzer Zeit und auf so haarsträubende Weise, und nichts ließ hoffen, dass es bei dieser Zahl bleiben würde. Die Spezialeinheit der Polizei, die in ähnlichen Fällen schon zum Einsatz gekommen war – nun, sie waren nicht dazu verpflichtet ...
Fragend blickte er die beiden an, die überzeugte Nelly und den skeptischen Marco. Natürlich musste auch der Staatsanwalt dazu befragt werden. Der Polizeivize sah Nora Risso an, die Psychologin, die sie üblicherweise in heiklen Fällen beriet und die der Korrektheit halber dazugerufen und von den Absichten der Kommissarin in Kenntnis gesetzt worden war. Sie war eine eher füllige Frau um die fünfzig, die Gelassenheit und Ruhe ausstrahlte. Ihre gewissermaßen berufsbedingte Selbstbeherrschung half ihr, zu verbergen, wie zutiefst verärgert sie war. Normalerweise verstanden die beiden Frauen sich gut, doch offensichtlich hatte Nelly kein Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Die Psychologin fühlte sich in ihrer Berufsehre gekränkt, auch wenn sie sich einzureden versuchte, dass es dafür keinen Grund gab. Nimm’s nicht persönlich, Nora. Tja, aber wie soll man so etwas nicht persönlich nehmen? Die Rosso, diese blöde Kuh!
»Alessandro Palmieri – ihr wollt also einen richtigen Profiler, wie im amerikanischen Film?«, sagte sie schließlich mit unverhohlener Ironie. »Es wird nicht leicht sein, an ihn heranzukommen,
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