Das boese Blut der Donna Luna
Rache und Vergeltung stillen würde. Doch er, er wusste es. Aber es hielt nur kurz. Nur kurz. Wie ein Drogentrip, der nach einer Weile nachließ. Nach einer allzu kurzen Weile. Es war an der Zeit, die Jagd wieder zu eröffnen und eine arme ›ausgebeutete‹ Frau zu retten.
IV
Das garstige Stimmchen schwieg noch immer. Doch Nelly wusste, warum. Es brauchte gar nichts zu sagen, Nelly war so schon beunruhigt genug, und diese Unruhe hatte weder etwas mit der Rekordhitze zu tun, die einfach nicht nachlassen wollte, noch mit dem Stress der vergangenen Tage oder mit Mau, der mit jedem Tag, den das Mündliche näher rückte, ungenießbarer wurde. Sie wusste, dass ihre Anspannung einen ganz einfachen Grund hatte: Sie hielt Gianluca für unschuldig. Sie war so gut wie sicher, dass Simba – inzwischen hatte sie ihn für sich so genannt – wieder zuschlagen würde. Doch konnte sie ihre Vermutung weder Marco anvertrauen, denn der wäre aus der Haut gefahren, noch Tano, denn dann hätte er sie nicht mehr für voll genommen. Ja, ja, der weibliche Instinkt, sie sah das spöttische Grinsen schon vor sich. Die beiden waren intelligente Burschen, und sie schätzten sie, doch manchmal schlug bei ihnen wie bei (fast?) allen Männern ein unbewusster, sexistischer Reflex durch, ein beschwichtigendes Wohlwollen ihr als Frau gegenüber, das sie zur Weißglut brachte. Wenn schon die Besten so reagierten, wie sah es dann erst bei den anderen aus? Männer hatten eine Urangst vor allem, was irrational, unlogisch und instinktiv war, und Frauen waren das Inbild dafür. Um nur eine der unzähligen Schwierigkeiten zwischen den beiden Geschlechtern zu nennen.
Zum x-ten Mal ging Nelly in ihrem Büro die bis ins winzigste Detail identischen Befunde durch. Die Opfer waren mit einem Curare-Gemisch ruhiggestellt und noch lebend geköpft worden. Wie unglaublich grausam. Von wegen Löwe, nur ein Mensch war in der Lage, sich so ein Verbrechen auszudenken und in die Tat umzusetzen. Ein echter Simba hätte sich mit einem Tatzenhieb begnügt und sein Opfer wenigstens aufgefressen. Dies hier hingegen war eine Art perverses Vergnügen. Eine sorgfältig vorbereitete, durchdachte und sauber ausgeführte Arbeit. Ein Bewunderer der Französischen Revolution, wie Parodi schon bemerkt hat. Allerdings haben damals hauptsächlich die Adligen ihren Kopf verloren, hier hingegen trifft es Mädchen, die ganz arm dran sind.
Auf ihrem Schreibtisch lagen mehrere, meist ausländische Bücher über Serienmörder. Einige Autoren setzten beim (bei der?) guten Jack the Ripper oder noch wesentlich früher an und spannten den Bogen bis zu den russischen und südamerikanischen Rekorden sowie der vielfältigen Typologie der Vereinigten Staaten. Es ging um die amerikanischen Experten Howard Teten, Pat Mullany, Dick Ault und Robert Ressler (welcher den Begriff serial killer aufbrachte), die sich als erste wissenschaftlich mit dem Phänomen auseinandergesetzt, die Fälle kategorisiert und katalogisiert hatten.
Und wir haben immer gedacht, hierzulande seien wir dagegen immun ... Der übliche Irrglaube. Sie musste an all die Märchen denken, in denen Menschenfresser - manchmal, wenn auch selten, waren es auch Menschenfresserinnen - kleine Buben und Mädchen kochten. Das Volksgedächtnis hatte die Erinnerung an heimische Serienmörder in das Reich der Märchen verbannt. Und wer wusste schon, welche ungeahnten Gräueltaten die Geschichte noch erlebt hatte – von wegen, das Phänomen des Serienkillers wäre neu. Man denke nur an die üble Geschichte von Gilles de Rais, jenem französischen Adligen und Maréchal de France, der im fünfzehnten Jahrhundert mit seinen beiden Dienern Henriet und Poitou Hunderte von Kindern, vor allem Jungen, misshandelte und tötete, wofür er schließlich hingerichtet wurde. Doch fast noch entsetzlicher als dieser Horror war die Tatsache, dass den vom Baron de Rais gebotenen Quälereien zahlreiche ebenfalls hochwohlgeborene Gäste beiwohnten, die einer Strafe entkamen ... Ein Haufen von Psychopathen, die rein zufällig alle in der Nähe von Nantes wohnten? Ziemlich unwahrscheinlich. Was also schlummerte in jedem von uns? Nelly holte tief Luft. Die unerquicklichen Gedanken über die menschliche Natur lasteten noch schwerer auf ihr als die Julihitze, die ein Ventilator einigermaßen erfolglos zu mildern versuchte.
Blaubart, der Ehemann, der seine Frauen zufälligerweise genauso köpfte wie der Baron de Rais, ist eine Jahrhunderte später
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