Das boese Blut der Donna Luna
Mittagshitze stand, oder blinzelten verstohlen zu ihren Tischnachbarn hinüber. Palmieri brach schließlich das Schweigen.
»Jetzt ist man also in Genua auch darauf gekommen, sich in Sachen Serienverbrechen auf europäischen oder vielleicht gar amerikanischen Standard zu begeben. Soweit ich weiß, ist das jedoch nicht das erste Mal.«
»Nein, leider«, seufzte Nelly. »Bestimmt haben Sie von dem jüngsten Fall in der Zeitung gelesen. Es wurde in den letzten Tagen viel darüber berichtet. Im Sommerloch sind diese Verbrechen für die Medien ein gefundenes Fressen, so zynisch das klingen mag.«
Palmieri verzog das Gesicht und gab mit einer Handbewegung zu verstehen, was er von der Berichterstattung der Medien hielt.
»Insgesamt erschienen die Beiträge in den Zeitungen und im Fernsehen ziemlich vage und ungenau. Ich nehme an, das war von Ihnen so beabsichtigt?«
Die Frage war an Nelly gerichtet, und sein bohrender Blick machte sie abermals verlegen.
»Na ja, zum Teil. Es liegt aber auch daran, dass wir, ehrlich gesagt, vor einem Rätsel stehen. Die Sache ist so irrational grausam ... und der Mörder hinterlässt keine Spuren. Gianluca Sonni, der zuerst in Untersuchungsgewahrsam genommen wurde, ist wieder auf freiem Fuß, da er während des dritten Mordes im Gefängnis saß.«
»Dass es keine Spuren gibt, ist für diese Art von Verbrechen typisch. Bisher sind es vier, richtig?«
Nachlässig fegte Palmieri ein paar Krümel vom Holztisch. Marco fasste sich unauffällig an die Eier, um Unglück abzuwehren. Bisher? Leck mich, du Unke! Er sah Palmieri grimmig an. Nelly hingegen zuckte zusammen, denn so etwas hatte ihr das böse Stimmchen auch schon zugeflüstert.
Inzwischen war der von Kaffee gekrönte Imbiss beendet. Die drei machten sich zu Fuß auf den Weg Richtung Präsidium und hielten sich auf der vergeblichen Suche nach Schutz vor der senkrecht am Himmel stehenden Mittagssonne dicht an den Häusern der Via Fiume und der Via Brigate Liguria. Nelly musste daran denken, dass der arme Kriminologe unter seinem Bart und der Mähne geradezu eingehen musste. Doch selbst wenn dem so war, zeigte er es nicht.
Im Präsidium wurden sie sofort von Tano Esposito empfangen, der in seinem Büro das Material zu den vier Verbrechen hatte bereitlegen lassen. Nach der Begrüßung ging es sofort zur Sache. Nelly fasste die Geschehnisse zusammen, präsentierte Beweisfotos und Autopsieberichte, jedes Detail konnte nützlich sein. Dabei durchlebte sie alles noch einmal. Das Grauen, die Wut, die Ohnmacht. Die drückende Hitze, den Gestank, das Surren der Fliegen. Reglos und ohne die bündigen Ausführungen der Kommissarin zu unterbrechen, hörte Palmieri zu. Als sie geendet hatte, konzentrierte er sich auf die Fotos der Opfer und der Tatorte. Er ließ sich die an den Fundorten gedrehten Videos mehrmals zeigen. Dann fragte er, ob die Leichen verrückt worden seien.
»Soweit wir wissen, hat der Klempner, der das erste Opfer gefunden hat und der zunächst unter Tatverdacht stand, die Leiche nicht berührt, zumindest behauptet er das. Auch der Hund hat an der Position des zweiten Opfers offenbar nicht viel geändert, aber ganz sicher ist das nicht. Was Nummer drei und Nummer vier anbelangt, gibt es wenig Zweifel. Die sind höchstwahrscheinlich genau so gefunden worden, wie man sie abgelegt hat.«
Nelly zeigte auf die Fotos, die als Vergrößerungen nebeneinanderlagen.
»Die Arme in Höhe des fehlenden Kopfes angewinkelt, die Beine nach rechts abgeknickt im ersten Fall am Righi, nach links im zweiten Fall beim Forte Begato. Wie gesagt, im zweiten Fall hat der Hund die Leiche möglicherweise am Arm gepackt, er ist leicht nach außen verschoben. Die Fälle vom Nervi-Park sind genau spiegelverkehrt zu den beiden vorangegangenen. Die Arme, hier, und die Beine, wie gesagt, erst nach links, beim Opfer im Rosengarten, und bei der vierten Frau dann nach rechts. Allesamt bäuchlings und ohne Slip. Jedoch keine sexuellen Übergriffe.«
Nelly verstummte und musterte ihren Gast. Palmieri hatte die Angewohnheit, sich beim Sprechen über den dichten schwarzen Bart zu streichen, als könnte er sich dadurch besser konzentrieren. Zuerst legte er die Hand über den Mund, immer die linke – Nelly prägte es sich ein, ohne zu wissen, warum –, griff sich, als wolle er sie zuhalten, mit Daumen und Zeigefinger an die Nase, öffnete die Hand wieder und ließ sie von den Wangen über den Bart abwärts bis zum Hals gleiten. Er legte den Kopf zurück,
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