Das boese Blut der Donna Luna
eins aufs Dach, kommt nach Hause und lässt’s an der Frau aus, die schlägt dafür ihren Sohn (und setzt den Keim für den zukünftigen Mörder), der Sohn tritt den Hund, der beißt die Katze, die sich auf den Baum flüchtet und einen Spatzen frisst. Und so haben alle wieder ihren Frieden. Geteiltes Leid ist doppeltes Leid. Und immer so fort.«
»Glauben Sie denn nicht, Dottoressa, dass sich die Beweggründe häufig in frühkindlichen Beziehungen ausmachen lassen?«
Palmieris Stimme klang wie üblich melodisch und neutral.
»Mag sein. Ich bin keine ausgewiesene Kriminalistin, auch wenn ich tagtäglich mit Verbrechern zu tun habe und man sich weiterbildet. Eine Sache wie diese ist mir allerdings noch nie untergekommen, und der Gedanke an die ›normalen‹ Morde, bei denen es um Urempfindungen wie Eifersucht, Angst, Gier und Neid geht, löst bei mir nun fast Verständnis und Wehmut aus. Dieser Fall ist so unmenschlich, weil der Mörder die Opfer ihrer Persönlichkeit beraubt. Für ihn sind sie Objekte, er hantiert mit ihnen herum, köpft sie, legt sie in Pose wie kaputte Puppen. Soll daran auch die Mama schuld sein? Oder der Papa? Hätte eine nervtötende Mutter so viel Macht, dann ging’s hier überall hoch her. Dann wäre das hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Wieso steckt die Mehrheit familiäre Spannungen oder Misshandlungen locker weg, oder doch mit überschaubaren Problemen, und andere reagieren darauf als derart bestialische Spätzünder?«
»Gewiss werden wir während unserer gerade begonnenen Zusammenarbeit noch Gelegenheit haben, über diese faszinierenden Themen zu diskutieren, Dottoressa Rosso. Selbst unter den Fachleuten gehen die Meinungen auseinander. Bei brutalen, repetitiven Fällen ist klar, dass die Ursachen psychopathologisch sind. Und über die Gründe dafür, ob physisch und / oder psychologisch motiviert, gibt es wieder endlose Abhandlungen und Beweisführungen. Doch bedauerlicherweise bleiben unser Hirn und unsere Seele ein nahezu unergründliches Geheimnis. Für die anderen und für uns selbst«, schloss Palmieri mit einem leisen Seufzen. Dann verabredete er mit Tano eine Begehung der Fundorte am folgenden Tag und versprach, so schnell wie möglich ein Täterprofil zu erstellen.
Inzwischen war es Abend geworden. Die Teilnehmer der Unterredung wurden sich plötzlich bewusst, wie erledigt sie von der Hitze und der Anspannung waren. Man beschloss, am morgigen Freitag weiterzumachen. Nach und nach löste sich das Grüppchen auf. Palmieri ließ sich von Tano Esposito im Auto nach Hause begleiten. Um acht Uhr waren die beiden mit Laurenti verabredet, der den Kriminologen kennenlernen wollte und ihn und den Polizeivize zum Abendessen eingeladen hatte, da er beim nachmittäglichen Treffen nicht hatte dabei sein können. Marco verdrückte sich wortlos und mürrisch, und Nelly trottete schweißtriefend und wutschäumend nach Hause.
Am Himmel waren schwarze Wolken aufgezogen. Zum ersten Mal seit Tagen wehte ein leises Lüftchen, zwar heiß, aber besser als nichts. Wenn’s doch nur regnen würde, na los, ein ordentliches Gewitter, bitte, Wasser! Ein fernes Donnergrollen war die Antwort auf Nellys Stoßgebet, alle Passanten hatten die Blicke nach oben gerichtet und schickten vermutlich ähnliche Bitten gen Himmel. Von diesem Abend an sollte das Wasser rationiert werden, eine Qual für die ganze Stadt. Der Stausee von Brugneto war auf niedrigstem Stand, es fehlte nicht viel, und man würde hindurchwaten können. Verflixt, sie hatte vergessen, sich Wasservorräte zuzulegen, nicht mal einen Topf voll. Wann wurde das Wasser abgedreht? Um halb neun, da blieb ihr gerade noch Zeit, zu duschen und ein paar Schüsseln zu füllen.
Fast im Laufschritt hastete Nelly mit letzten Kräften durch den Tunnel, und als sie auf die Piazzetta einbog, erblickte sie zwei altvertraute Gestalten, die lautstark diskutierend vor dem Hauseingang standen. Mau und Moni, schon wieder! Müssen die eigentlich immer streiten? Elende Masochisten.
»Hallo, Kinder, wie geht’s? Wieso fahrt ihr bei der Hitze nicht nach Boccadasse zum Baden oder geht ein Eis essen? Ich geb euch eins aus.«
Zwei zornige Augenpaare starrten sie an. Monicas waren rotgeweint. Dann kehrten beide ihr den Rücken zu und zogen ohne eine Antwort ab, als wäre sie Luft.
Verdammt noch mal, waren wir etwa auch so? Was ist mit dieser Stadt bloß los? Vorboten der öffentlichen und privaten Apokalypse? Sie lieben sich, sie hassen sich, sie
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