Das boese Blut der Donna Luna
hin.
»Nelly, darf ich Sie morgen Abend zum Essen einladen?«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Damit hatte sie nicht gerechnet. Nelly sah ihn unschlüssig an, und er wusste ihre Verblüffung zu nutzen.
»Ich würde mich sehr freuen. Meinetwegen ein Arbeitsessen. Um uns näher kennenzulernen. Um besser zusammenzuarbeiten.«
»Ich ...«
»Ich hatte an eine Trattoria in den Bergen gedacht, so können wir dieser mörderischen Hitze vielleicht für ein paar Stunden entfliehen. Ich hole Sie morgen Abend um acht Uhr ab, in Ordnung?«
»Na schön, zum Abendessen, aber Sie müssen mich nicht abholen, wir können uns an der Piazza De Ferrari vor dem Palazzo Ducale treffen, ist Ihnen das recht?«
»Natürlich. Um halb neun also.«
Tano hatte Laurentis Einverständnis eingeholt und jemanden losgeschickt, um die Telefone des »Secolo« zu verkabeln. Dann ging jeder seiner Wege. Nelly versuchte, Marco aufzuhalten, doch der machte sich mit einer Entschuldigung aus dem Staub. Na, dann nicht, wenn er mit mir reden will, wird er schon kommen. Sie verließ das Präsidium und machte sich auf den Heimweg, in der Hoffnung, sich ein bisschen entspannen zu können. Der nächste Tag war bereits Sonntag.
IX
Der Sonntag hatte nichts Neues gebracht. Zum Glück. Alles war ruhig. Nellys Anspannung wuchs dennoch. Dies wäre der Abend vor dem letzten Viertel. Würde wieder etwas Schreckliches passieren? Würde Simba wieder zuschlagen? Wie eine düstere Hintergrundmelodie hatte sie der Gedanke den ganzen Tag nicht losgelassen, der im Übrigen nicht besonders typisch verlaufen war. Sie hatte die wegen der hektischen Ereignisse im Präsidium seit Tagen vernachlässigte Wohnung aufgeräumt, endlich ein paar Trommeln Wäsche gewaschen. Solange es Wasser gab, musste man das ausnutzen. Jeder Handgriff kostete das Doppelte an Schweiß und Erschöpfung. Schließlich hatte ein Blick auf die Uhr Nelly jäh daran erinnert, dass sie mit Palmieri verabredet war. Es war schon fast acht. Gibt’s das denn? Was hab ich bloß den ganzen Tag gemacht?
In Blitzgeschwindigkeit sprang sie aus den Kleidern und unter die Dusche. Seit dem vergangenen Abend von den Kindern keine Spur. Beim Aufstehen hatte sie einen Zettel mit Maus schöner Handschrift gefunden: »Ma, wir fahren nach Cavi zum Baden, essen abends eine Pizza am Strand. Ciao, ciao«, und darunter eines seiner lustigen Gesichter. Sie trat aus der Dusche, trocknete sich kaum ab, rubbelte sich energisch die Haare, um keinen Fön benutzen zu müssen. Himmel, viel zu heiß, der Fön! Sie dachte über die Einladung des Profilers nach und fragte sich, weshalb Palmieri um ein so ... informelles Treffen gebeten hatte. Um uns besser kennenzulernen, um besser zusammenzuarbeiten. Das kannst du einer anderen erzählen. Dieser Mann faszinierte sie immer mehr, in rein intellektueller Hinsicht, versteht sich. Vielleicht ging es ihm genauso. Erotische Anziehung war es nicht, auch nicht von seiner Seite, da war sie sich sicher. Neugierde? Interesse für einen für ihn ungewohnten Frauentyp? Dennoch war ihr, als stünde eine hauchdünne Glasscheibe zwischen ihnen.
Zwei Tiere völlig unterschiedlicher Rassen, wir sind zwei unterschiedliche Tierarten. Wir ziehen einander an und stoßen einander ab, unsere mentalen und vor allem instinktiven Prozesse sind gänzlich unterschiedlich, vielleicht sogar komplett gegensätzlich. Er mag mich nicht, ich gehe ihm einfach gegen den Strich, da bin ich mir sicher. Und wieso dann die Einladung zum Abendessen? Vielleicht, um mich zu studieren? Und er, gefällt er mir? Ich habe Respekt vor seinem Können. Und ich finde ihn professionell. Aber er ist so schwer greifbar ... flutschig wie ein Fisch ...
Sie sah die Villa mit den Kamelien wieder vor sich und erschauerte trotz der Hitze, die über der Stadt lag, durch die Straßen strich und die Mauern bis zu ihrer Terrasse heraufkroch. Das Gebäude und selbst der Garten dünsteten etwas Ungutes aus, das sie abstieß, und irgendwie war er Teil dieses Hauses. Nein, er gefiel ihr nicht. Rein instinktiv. Wir können schließlich nicht jedem gefallen, und umgekehrt genauso. Sie schüttelte die fast schon trockenen Locken und fischte ein tief ausgeschnittenes, türkisfarbenes Kleid aus dem Schrank, eine Laune des letzten Sommers, Carlo hatte es ihr geschenkt. Gerade sah sie Santa Margherita und die Boutique vor sich, in der sie das Kleid entdeckt hatten, und dachte daran, wie er sie gedrängt hatte, es anzuprobieren, und es ihr
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