Das boese Blut der Donna Luna
gesehen haben konnten, Marco und Privitera würden Gianluca Sonni auf den Zahn fühlen. Nelly und Tano fuhren ins Präsidium. Laurenti hatte Palmieri zum Mittagessen eingeladen, wieder in Boccadasse. Auf Staatsanwaltschaftskosten, versteht sich.
Kaum im Büro angekommen, gab Nelly Valeria, die von der Aufregung und dem Schock angesichts der jüngsten Ereignisse und von den Überstunden der letzten höllischen Wochen angegriffen und müde war, präzise Rechercheanweisungen, die möglichst bald zu erledigen waren.
»Klar ist viel zu tun, Valeria, ich weiß, aber wir stecken bis zum Hals im Schlamassel. Ich verlasse mich auf dich, versuch, diese Sachen so schnell wie möglich herauszufinden! Bis morgen Vormittag.«
Nachdem sie die Ärmste derart mit dem Rücken an die Wand gestellt hatte, schaute sie rasch bei Tano vorbei, der über den Berichten schwitzte und gerade von Lullis Yacht in Portofino und einem schönen Sprung ins Meer träumte, und machte sich dann müde, aber entschlossen auf den Weg in die Via del Campo zu Madame Claire. Ein Feuerlauf durch die Stadt, die, obwohl es Montag war, ausgestorben dalag wie in einem amerikanischen Katastrophenfilm. Wer konnte, war geflohen. Die schmalen Gassen der Altstadt entrissen ihr einen Seufzer der Erleichterung, denn obwohl die Sonne hoch am Himmel stand, verirrten sich nur ein paar schräge Strahlen hierher, und selbst der übliche Gestank war erträglicher als die brüllende Hitze auf der Piazza della Vittoria oder der Via XX Settembre. Klitschnass geschwitzt und kurz vor einem Herzinfarkt betrat sie den dunklen und einigermaßen kühlen Hauseingang. Irgendwie schaffte sie es die Treppe hinauf. Die Tür war zu. Sie klopfte verzweifelt. Mach auf, Claire, bitte, ich muss dringend mit dir reden.
Als Antwort auf ihr stummes Stoßgebet erschien Claire in der Tür. Aus der Wohnung strömte der Duft von gegrilltem Gemüse, gebratenem Fleisch und Gewürzen. Nelly wurde schwummrig, sie wusste nicht, ob vor Müdigkeit oder vor Hunger. Sie sank gegen den Türpfosten. Madame Claire fing sie auf und führte sie ins Wohnzimmer, wo sie sich aufs Sofa fallen ließ. Mit einem gekonnten Handgriff legte Claire ihr die Beine hoch und verschwand hinter dem Vorhang, hinter dem man wie immer fröhliche Stimmen und Gelächter hörte. Kurz darauf tauchte sie mit einem kühlen Getränk wieder auf, das aussah wie eine Mischung aus Joghurt und Mangosaft. Sie hielt Nellys Kopf und setzte ihr das Glas an die Lippen wie einem kranken Kind.
»Schlaf, Commissario. Wir reden später.«
Das waren die letzten Worte, die Nelly hörte.
Als sie die Augen wieder aufschlug, sickerte gedämpftes Licht durch die Fensterläden. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es halb acht Uhr abends war. Was würden die Kollegen denken? Plötzlich war sie weg gewesen ... Aber sie fühlte sich so gut, dass es ihr gleich war. Sie streckte sich und sah Claire mit einem seltenen Lächeln auf dem breiten schwarzen Gesicht hinter dem Vorhang hervorlugen. Ihre Augen funkelten belustigt.
»Commissario, wenn das dein Kollege Fattori wüsste, dass du bei einem so verrufenen Frauenzimmer wie mir schläfst! Was ist denn dann mit deiner ...«, sie runzelte die Stirn und suchte nach dem richtigen Wort. »Es fällt mir nur auf Französisch ein, réputation. Ta réputation .«
»Mein Ruf, es heißt Ruf«, lächelte Nelly zurück.
»Du warst völlig erschöpft. Du solltest dich nicht so schinden.«
»Danke, Claire, die Erholung war dringend nötig. Was hast du mir da eigentlich zu trinken gegeben?«
»Berufsgeheimnis, Commissario. Simba hat wieder zugeschlagen, und zwar richtig, stimmt’s?«
»Simba ist ein verfluchter, elender Scheißkerl. Diesmal sind es zwei Frauen.«
»Ich habe gespürt, dass etwas Grauenhaftes geschehen würde. Und du musst dich vorsehen, weißt du?«
»Wieso denn das?« Nelly starrte sie beunruhigt an.
»Ich habe dich gestern Abend gesehen, eine dunkle Wolke lag über deinem Gesicht. Deshalb habe ich dir Robert geschickt.«
»Robert? Und wer, bitte, ist Robert? Der große Schwarze, der mit dir geredet hat, als wir wegen Paulette gekommen sind?«
»Ja und nein. Das ist Roger. Robert sieht aus wie Roger, ist aber nicht aus Fleisch und Blut. Er ist ein Bote. Ein Teil von Roger, der sich von ihm löst, wenn er, wie sagt man doch ... in Trance ist. Besser gesagt, ich bin es, die ihn in Trance versetzt. Er tritt aus sich heraus, verlässt seinen Körper und tut, was ich sage. Danach war ich
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