Das boese Blut der Donna Luna
stundenlang völlig ausgelaugt. Diese Anstrengung saugt einem das Leben aus den Knochen. Ich habe diese Sache – frag mich nicht, wie man sie nennt und wie sie funktioniert – nur selten gemacht, und es klappt nicht immer. Die Kraft, die mentale Energie, die dazu nötig ist, kann einen umbringen.«
»Ich danke dir, dass du dieses Risiko für mich auf dich genommen hast. Ich wollte gerade einem Mann von dir erzählen, da habe ich ihn gesehen, Robert, meine ich. Er hat den Kopf geschüttelt, und ich habe den Mund gehalten. Könnte ... könnte die Gefahr von dem Mann ausgehen, mit dem ich gestern Abend essen war?«
»Wenn ich all das genau wüsste, wenn ich wüsste, wer Simba ist, oder wer sie sind, würden wir beide jetzt nicht hier sitzen und reden, oder? Es sind nur Vorahnungen, Schauder, Zeichen, Gefühle. Bruchstückhafte Visionen. Dieser Mann mit dem großen Bart, hat der einen Lieferwagen?«
»Ich weiß es nicht, Claire, aber ich werde es bald herausfinden. Wieso? Und warum hast du wer ›sie sind‹ gesagt?«
»Ein sehr böser, sehr verrückter Mann ohne Gesicht hat heute Nacht im letzten Viertel den Tod gebracht. Und die Signale, die Schwingungen, die von Simba ausgehen, sind so ungenau und widersprüchlich, dass ich manchmal denke, es könnten mehr als einer sein.«
»Der Mann mit dem Bart kann es nicht gewesen sein, er war mit mir zusammen, als Simba letzte Nacht getötet hat. Ein Lieferwagen, sagst du?«
»Ich habe eine schwarze Schrift auf weißem Grund gesehen. › Speranza ‹ – Hoffnung. Ein hübscher Name für eine Totenfähre.«
Nelly brachte sie auf den neuesten Stand. Seufzend fächelte sich Claire mit einem bunten Fächer Luft zu. Bei ihrer beträchtlichen Leibesfülle musste die Hitze ihr ganz schön zusetzen, doch war ihr das nicht anzumerken. Sie schwitzte nicht einmal.
»Dieser Mann, mit dem du zusammen warst, sendet sehr schwer zu deutende Schwingungen aus. Er ist eine gepeinigte Seele. Er ist von einem Schild aus Schmerz und Wut umgeben, der kaum zu durchdringen ist.«
»Ich weiß. Ich selbst habe ihn nach Genua geholt, weil ich dachte, er könnte bei den Ermittlungen hilfreich sein, aber ...«
»Aber du traust ihm nicht ganz.«
Nelly hatte den Eindruck, als könnte Claire mühelos ihre Gedanken entziffern. Die geheimnisvolle Afrikanerin erriet selbst das, was sie nicht zu Ende zu denken wagte. Sie ließ sich gegen die Sofalehne sinken und holte tief Luft.
»Nein. Sollten wir ihn wegschicken? Ich weiß nicht, ob das an diesem Punkt noch möglich ist und ob es überhaupt gut wäre.«
»Frag die arme Claire nicht so etwas. Sei nur auf der Hut, aber nicht nur vor ihm. Jetzt muss ich gehen. Glaubst du, du schaffst es allein nach Hause? Roger könnte dich begleiten.«
»Danke. Ich würde mich gern ein bisschen mit ihm unterhalten. Und, Claire ... für mich bist du eine Freundin.«
»Du bist süß, Commissario. Du bist eine erwachsene Frau und erinnerst mich an meine arme Paulette. Du glaubst an die Freundschaft, an die Aufrichtigkeit ... ich nicht mehr, aber ich weiß beides zu schätzen, wenn jemand es mir entgegenbringt.«
Sie streichelte Nelly sanft über die Wange und verschwand hinter dem Vorhang. Kurz darauf tauchte der große Schwarze in einem himmelblauen, goldgeränderten Kaftan auf. Auf seinen Locken thronte ein kleines Käppchen, und er machte ein ernstes Gesicht. Er verbeugte sich leicht, Nelly erhob sich ein wenig schwankend, er nahm sie beim Ellenbogen und führte sie bis auf die Straße. Schweigend ging er neben ihr her, den Blick geradeaus gerichtet.
»Kennst du Claire schon lange, Roger?«
»Seit immer. Sie ist die Schwester meiner Mutter. Sie hat mich großgezogen.«
»Dann bist du der Bruder ...«
»... von Paulette? Nein, sie war meine Cousine. Ihre Mutter ist eine andere Schwester.«
Nelly musterte ihn aufmerksam und hatte Mühe, mit seinen langen Beinen Schritt zu halten.
»Weißt du, wo Sant’Apollinare ist?«
»Nein. Aber ich könnte letzte Nacht dort gewesen sein. Claire hat mich ›geschickt‹, aber wenn ich aufwache, erinnere ich mich an nichts mehr.«
Nelly seufzte irritiert. Sie wusste einfach nicht, was sie von dieser Sache halten sollte. War die Geschichte mit dem Boten wahr? Oder war Roger in Fleisch und Blut dort gewesen, um ihr nachzuspionieren? Alles erschien ihr so ... irrational. Unwirklich war das passende Wort.
»Was passiert, wenn sie dich ... schickt?«
Roger schien zu überlegen, ob er auf diese heikle und indiskrete Frage
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