Das boese Blut der Donna Luna
einmal den Namen des Toten, aber den finden wir bald heraus. Man hat ihn in zwei große Müllsäcke gepackt und in einen Container geschmissen. Er hatte keine Papiere bei sich. Tatsache ist, dass es mir an Leuten fehlt, ich habe nicht genügend Beamte für derart umfassende Ermittlungen, im Sommer sind wir immer am Anschlag, wie du weißt, und deshalb halte ich es für richtig, dass Lojacono sich mit Terralba und Benedetti darum kümmert. So hast du weniger um die Ohren, und falls etwas dabei herauskommen sollte, erfährst du das sowieso.«
»Du weißt, was ich von Carmine halte.«
»Da bist du nicht allein. Aber in gewisser Hinsicht ist er ein guter Polizist.«
»Wenn du eine gewisse Sorte Polizist meinst.«
»Manchmal braucht es so einen wie ihn. Eine wütende Bulldogge.«
»Na ja, lassen wir’s gut sein. Aber hör mal, ich weiß, dass wir Leute brauchen, doch Nicolas Vater geht’s schlecht, und Privitera ist früher aus dem Urlaub zurückgekommen. Könnten wir Nicola nicht wenigstens für ein paar Tage nach Hause fahren lassen?«
»Wie bist du eigentlich bei der Polizei gelandet? Du hättest lieber Sozialarbeiterin werden sollen. Na schön, wir geben ihm fünf Tage frei und werden es hoffentlich nicht bereuen, denn wenn das Arschloch in diesem Takt weitermordet, müssen wir noch die Armee zu Hilfe rufen.«
Tano stand auf und ging um den Schreibtisch herum zu Nelly, die ebenfalls aufstehen wollte, doch er hielt sie zurück. Er beugte sich zu ihr herab und küsste sie auf den Mund, ein sanfter, leichter Kuss, während sie ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte.
»Ein Freundschaftskuss, kam mir einfach so, bitte nicht schlagen«, flüsterte er.
Nelly versuchte ihre Verblüffung zu überspielen.
»Und ich hab mir schon Hoffnungen gemacht! Stell dir vor, der liebe Lojacono wäre vor einer Sekunde hereingekommen, das Präsidium stünde kopf!«
»Lojacono kann mich mal, der soll sich um seinen eigenen Scheiß kümmern.«
»Tja, die Pause ist vorbei, ich mach mich an die Arbeit. Es ist schon fast zehn. Ich halte dich auf dem Laufenden. Ciao, Tano.« Und schon war sie weg. Mit unergründlichem Gesichtsausdruck starrte der Mann auf die Tür, die sich hinter Nelly schloss, griff seufzend nach dem Telefonhörer, um den Polizeichef anzurufen, und wappnete sich innerlich für die zu erwartende Szene.
Kopfschüttelnd und mit gerunzelter Stirn saß Nelly auf dem Rücksitz des von Alberighi gesteuerten Dienstwagens und dachte an Tanos Geste. Komm schon, gib nichts drauf. Eine freundschaftliche Geste, weiter nichts. Sie sah aus dem Fenster auf die Menschen, die sich resigniert durch den Morgen schleppten, derweil das Thermometer bereits die Dreißig-Grad-Marke erreicht hatte und es dabei nicht belassen würde. Schließlich gab sie sich einen Ruck und wandte sich der Akte zu, die Valeria ihr in die Hand gedrückt hatte. »A. Palmieri« stand auf dem Deckel. Valeria war in Sachen Recherche wirklich unschlagbar.
Also: geboren in Paris, Mutter Französin aus Martinique, in den Antillen. Vater Gianmaria Palmieri, italienischer Diplomat, Konsul da und dort, dann Botschafter, etc. Letzter Posten Paris. Dort wird Alessandro geboren. Drei Jahre später Rückkehr nach Genua. Wohnhaft in der Villa Camelia unter besagter Adresse. Auch verschiedene andere Besitztümer der Familie waren aufgelistet, mehrere Wohnungen in Genua und an der Riviera, eine Villa in Pieve sowie eine Wohnung in Mégève, Frankreich, eine weitere in Paris. Allesamt im Besitz unseres Freundes. Auch die Villa in Melide in der Schweiz, Alessandros Hauptwohnsitz, gehörte ihm, doch die hatte er sich selbst gekauft. Zuerst Privatunterricht, dann Mittel- und Oberstufe am D’Oria-Gymnasium, Abitur mit achtzehn – o Himmel, Abitur, wer weiß, wie’s Mau und Moni geht?
Das achtzehnte Lebensjahr war Palmieris schwarzes Jahr. Der Vater war eines schönen Maienmorgens mit ihm von Santa Margherita aus zum Segeln rausgefahren, doch es gab einen Manöverfehler, der Baum hatte ihn im Nacken getroffen und ihn ins Meer gestoßen. Der entsetzte Junge hatte ihn in den Fluten ertrinken sehen und hatte das Boot nur mit Mühe in den Hafen zurücksteuern können. Die Leiche war ein paar Monate später an der französischen Grenze angespült worden, man kann sich vorstellen, in welchem Zustand. Sämtliche damaligen Stellungnahmen, Zeugenaussagen, Berichte und Protokolle lagen bei. Ein Foto des lebenden Vaters, eines des toten oder dessen, was von ihm übrig war, dazu
Weitere Kostenlose Bücher