Das boese Blut der Donna Luna
Dienstwagen.
»Also, Signor Ventura, wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Frau gesprochen?«
»Samstagabend waren wir zusammen zu Hause. Wir hatten unser Leben, unsere Zukunft. Alles ... Sonntag hat sie meiner Mutter geholfen, die Wohnung aufzuräumen, wir haben zusammen mit den Kindern zu Mittag gegessen. Gegen vier ist sie gegangen, sie war mit Dolores verabredet, sie wollten einen Stadtbummel machen. Ich hatte zu tun und konnte nicht mit. Die haben viel gearbeitet, wissen Sie? Ermelinda arbeitete schon viel, aber Dolores war eine richtige Sklavin. Häufig hatte sie noch nicht einmal einen ganzen Tag in der Woche frei. Und die zahlten so gut wie nichts.«
»Wie, die zahlten ihr nichts?«
»Die Señora Bergonzi hatte ihr die Stelle angeboten, als Rodolfo gerade verschwunden war ... Dolores war völlig aufgeschmissen, allein mit einem Kleinkind in einem fremden Land. Es erschien ihr wie die Rettung, weil sie das Kind bei sich haben durfte. Doch das war nur, um sie zu erpressen und ihr alles Mögliche aufzwingen zu können. Wir haben ihr gesagt, sie soll da weggehen, die würden sie nur ausbeuten, doch sie fühlte sich der Señora verpflichtet. Pobra chica ... armes Mädchen! Meiner Frau haben sie auch wenig gezahlt, und sie wollte sich was Neues suchen ... y ahora , alles zu Ende.«
»Was machen Sie, Señor Ventura?«
»Ich arbeite als Pizzabäcker in einem Lokal in der Altstadt, ›El Barrio‹. Da kommen viele Landsleute hin, überhaupt viele Südamerikaner, aber auch Italiener und andere. Das Essen ist hervorragend. Gleich daneben ist auch ein sozialer Treffpunkt vom Circolo ARCI {10} , wo viele ihre Freizeit verbringen, was trinken, tanzen. Er heißt ›Speranza‹. Manchmal gehen wir da mit las chicas hin, mit Ermelinda und Dolores, meine ich.«
Seine Stimme verebbte, offenbar war ihm in dem Moment klar geworden, dass er nie mehr mit ihnen dort hingehen würde. Er sah aus dem Fenster, um seine Tränen zu verbergen. Nelly überlegte rasch, wieso bei dem Namen in ihrem Kopf ein Glöckchen klingelte, und fast blieb ihr das Herz stehen.
»›Speranza‹, haben Sie gesagt? Wo ist der? Wer leitet den?«
Unter Venturas verwunderten Blicken schrieb sie sich alles auf. Zufall? Claire hatte den Namen auf der Seite des Wagens »gesehen«, der die Leichen transportierte. ›Speranza‹. Ein erregtes Kribbeln durchfuhr ihren Körper.
Unterdessen hatten sie den Viale degli Aranci in Nervi erreicht und parkten vor dem Bahnhof. Sie gingen ein Stück den Viale entlang, bogen in eine schmale Straße ein und kamen an ein grünes Gartentor, vor dem bereits ungeduldig und mit der Miene eines Menschen, der seine Zeit nicht gern verplempert, die blonde und möglicherweise extrem geliftete Signora in Weiß wartete. Nelly konnte nicht umhin, sich an eine andere weißgekleidete Figur vor dem Tor einer anderen Villa erinnert zu fühlen. Zugegebenermaßen nahm dieser Mann in ihrem Kopf ziemlich viel Raum ein. Ihre Gedanken umkreisten ihn wie ein vertracktes Rätsel.
Signora Bergonzi zückte einen Schlüsselbund, schloss das Tor auf und bedeutete ihnen, ihr den von gepflegten grünen Beeten und hitzematten, verblichenen rosa und blauen Hortensienbüschen flankierten weißen Kiesweg entlang zu folgen. Sie warf ihnen einen bedauernden Blick zu.
»Ein Unglück kommt selten allein. Diego hat sich auch nicht mehr blicken lassen, weder gestern noch heute Morgen.«
»Diego?«
»Diego Cortez, der Gärtner, Kolumbianer wie Dolores. Er kommt jeden Montag, Dienstag und Donnerstag.«
»Ein weiterer Begünstigter von ›Eine Chance für die Frauen‹? Aber ist das nicht ein Mann?«
Giulia Bergonzi warf ihr einen vernichtenden Blick zu.
»In seltenen Ausnahmen kümmern wir uns auch um Männer oder Heranwachsende, das ist doch klar. Oft sind das Verwandte, Kinder, Ehemänner oder Brüder unserer weiblichen Schützlinge. Diego ist ...«
»... el novio de Dolores« , beendete Ventura ihren Satz und wurde ebenfalls mit einem giftigen Blick bedacht.
»Genau. Er ist seit rund einem Jahr in Genua und hat Dolores in diesem Club kennengelernt, wie heißt der doch gleich ...«
»›Speranza‹.«
»Richtig. Ein guter Kerl, fleißig, fähig. Dank uns hat er die ganze Woche über Arbeit gehabt, bei mir und bei Freundinnen und Bekannten.«
»Wie sieht dieser Diego denn aus?«
»Mittelgroß, kräftig, ganz normal, würde ich sagen.«
»Ich hoffe, ich muss Sie nicht noch einmal mit einer Identifizierung belästigen.«
Nellys
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