Das boese Blut der Donna Luna
Stimme klang schroff. Die beiden sahen sie erschrocken an.
»Eine Person, auf die diese Beschreibung zutrifft, ist ermordet in einem Müllcontainer in der Altstadt aufgefunden worden. Gestern am späten Nachmittag.«
»Madre de Dios!«
»Jesus!«
Die Ausrufe kamen synchron, während aus der Tür des Hauses ein kleiner, lockiger Junge trat und auf sie zurannte. Er trug kurze blaue Hosen und ein rot-weiß geringeltes T-Shirt, hatte aufgeschürfte Knie und ein verstörtes, ängstliches Gesicht.
»Tío Pedro, tío Pedro, adónde está mi mamá? Quiero ver a mi mamá!! {11} «
Er warf sich in Pedro Venturas kräftige Arme, der ihn fest an seine Brust drückte. Einen Moment lang brachte er kein Wort heraus.
» Felipecito, tu mamá está bien , deiner Mama geht es gut, aber sie musste wegfahren und hat gesagt, dass du eine Weile bei uns bleiben sollst. Du kannst mit Maria y Manuel spielen und mit der Oma, abuela Rosita. Würde dir das gefallen?«
»Ist Tante Ermelinda auch da?«
Nelly sah, wie die Farbe aus Pedro Venturas Gesicht wich, er schwankte, fing sich aber wieder.
»Ermelinda ist mit deiner Mama weggegangen, sie kommen dann zusammen wieder.«
Die Frauen betraten das Haus, ein weißes, zweistöckiges Gebäude mit einer kleinen Dachmansarde, einem schmiedeeisernen Balkon im ersten Stock, zu dem sich eine in der Hitze halb verwelkte rote Kletterrose emporrankte. Die Fensterläden waren dunkelgrün, alles machte einen ordentlichen und frisch sanierten Eindruck. Pedro folgte ihnen mit dem Kind auf dem Arm, das sich an seinen Hals klammerte wie eine Napfschnecke an ihren Felsen. Der Kleine drückte das Gesicht gegen die Brust des Mannes und wollte vom Rest der Welt nichts sehen. Endlich fühlte er sich in Sicherheit.
In der dämmrigen Diele konnte Nelly antike, wuchtige dunkle Holzmöbel erkennen, Töpfe mit Grünpflanzen, Gemälde aus dem neunzehnten Jahrhundert oder zumindest in diesem Stil gemalt: Küsten im Sonnenuntergang, Landschaften mit Schafherden und Hirtenmädchen, farbige Blumenstillleben. Während ihre Blicke alles registrierten, hörte sie eine unsichere Stimme, die in gebrochenem Italienisch rief:
»Guten Tag, Signora Bergonzi. Ihrer Mutter geht es gut.«
Die Angesprochene würdigte die kleine, runde Mittdreißigerin in blauem Kittel und weißem Schürzchen keiner Antwort und stieß energisch die Tür zu ihrer Rechten auf. Ein seltsam fauliger Geruch drang heraus, wie abgestandenes Blumenwasser, gegen den auch der duftende Wunderbaum, der auf einem Bord stand, nichts ausrichten konnte. Neben dem von halb geschlossenen Läden verdunkelten Fenster saß eine winzig kleine alte Frau in einem riesigen Korbsessel, der sie fast zu verschlucken schien. Sie starrte etwas an, weit entfernt in Raum und Zeit, das nur sie allein sehen konnte. Dann drehte sie sich zu den Eintretenden um und blinzelte, um besser sehen zu können. Als sie Giulia Bergonzi erblickte, hellte sich ihr Gesicht auf, und sie streckte matt die Arme aus.
»Ma-ma. Mama ...«
Die Tochter kniff die Lippen zusammen und drückte ihr offenkundig angeekelt einen widerwilligen Kuss auf die transparente Stirn.
»Alles in Ordnung, meine Kleine?«
»Do-lores. Wo ist Dolores?«
»Weg. Jetzt ist Amalia hier.«
»Ich habe Hunger. Niemand gibt mir was zu essen«, wimmerte die Frau. Ihre Lippen zitterten, als wollte sie gleich anfangen zu weinen.
»Ich kümmere mich darum. Ciao, und bis bald.« Noch ein flüchtiger Kuss, und Giulia Bergonzi machte den anderen ein Zeichen, mit ihr hinauszugehen.
Doch Nelly trat entschlossen auf die Alte zu und musterte sie. Annalisa Arduini musste einst eine schöne Frau gewesen sein. Feine Züge, himmelblaue Augen, inzwischen verblasst und erloschen, weißes Haar, das wie in einer Parodie früherer Eitelkeit von einem blauen Samtband gehalten auf dem Oberkopf thronte. Sie trug einen leichten, pastellfarben geblümten, vorn geöffneten Morgenmantel mit Schleifen und Rüschen und darunter ein kurzes, spitzengesäumtes Unterkleid aus himmelblauer Seide. An den Füßen weiße Söckchen und rosa Pantoffeln. Sie sah aus wie ein junges Mädchen aus längst vergangenen Zeiten, das ein böser Zauber in eine verhutzelte, todgeweihte Alte verwandelt hatte.
»Wann haben Sie Dolores zum letzten Mal gesehen, Signora Arduini?«
»Machen Sie Witze, Commissario? Lassen Sie meine Mutter in Frieden. Sehen Sie nicht, in welchem Zustand sie ist?«
Nelly schnitt ihr mit einer brüsken Handbewegung das Wort ab und
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