Das boese Blut der Donna Luna
von einer verschossenen Markise geschützte Tischchen auf dem Gehsteig luden zu einer Pause und einem kühlen Getränk ein. Nelly und Gerolamo traten ein, um sich ein wenig umzusehen. Man stieg einige Stufen hinab und stand in einem recht niedrigen, äußerst stimmungsvollen und für die Altstadt typischen Gewölbe. Die Atmosphäre war »ethno« oder versuchte zumindest, es zu sein. Arabische Musik, marokkanische Tischchen, Wasserpfeifen, Poster von Orten rund ums Mittelmeer und Stierkampfplakate an den Ziegelwänden. Hinten, eingekeilt in einen gotischen Bogen, befanden sich der Tresen mit Flaschen und Gläsern, eine Vitrine mit Snacks und Brötchen und die Tageskarte: Minestrone alla Genovese und Geschnetzeltes mit Erbsen.
Hinter dem Tresen stand ein nach Altachtundsechziger aussehender Mann Mitte vierzig. Er spülte Gläser und redete mit einem kräftigen Kerl mit raspelkurzen mittelblonden Haaren, der ihnen den Rücken zugewandt hatte. Nelly durchfuhr es heiß und kalt. Der Gast war Giuliano Zanni, Federico Manaras Assistent. Sie schnappte einen Namen auf: »Gianluca«. Entschlossen ging sie, Gerolamo im Schlepptau, auf die beiden zu.
»Guten Tag, Dottor Zanni. Sind Sie öfters hier?«
Der andere drehte sich um und blickte sie überrascht an.
»Ah, Sie sind’s, Dottoressa ... Rossi, nein, Rosso, entschuldigen Sie! Darf ich Ihnen Giagio Anfosso vorstellen, er leitet den Club ›Speranza‹. Was ihre Frage betrifft, ja, hin und wieder, wenn ich die Zeit finde.«
»Polizei, wenn ich richtig verstanden habe.«
Giagios (Giangiacomo? Giangiorgio?) Stimme klang alles andere als begeistert. Er war ziemlich groß, robust, kahl an den Schläfen und hatte einen graumelierten Zopf im Nacken. Er trug ein hellblaues, offenes Hemd und eine Jeans-Bermuda. Große Nase, braune Augen. Nelly stellte sich und Gerolamo knapp vor und kam dann sofort zur Sache.
»Kannten Sie Gianluca Sonni, Dottor Zanni? Und Sie, Signor Anfosso?«
»Aber natürlich«, bejahten beide im Chor.
»Der hat Unterstützung von ›Mani amiche‹ bekommen, und später hat er bei uns als Helfer angefangen. Hier hat er auch öfter mit angepackt, stimmt’s, Giagio?«
Der andere kniff verärgert die Lippen zusammen und warf Zanni einen vorwurfsvollen Blick zu, der Nelly nicht entging.
»Ja, gerade wollte ich dir sagen, es kommt mir einfach unglaublich vor, was über Gianluca behauptet wird, der war so ein guter Junge. Ein anständiger Kerl. Ich glaube, der ist da mit reingezogen worden. Der war zu gutmütig, das war seine Schwäche, jemandem, der nett zu ihm war, hat er nix abschlagen können.«
»Kam er oft?«
»Sonntagnachmittag habe ich ihn das letzte Mal gesehen. Ich musste weg, Teresa war nicht da, und er hat von vier bis acht hier ausgeholfen.«
»Bei der Zeit sind Sie sich sicher?«
»Klar, ich hab ihn noch begrüßt, als er gekommen ist, ihm gesagt, wann meine Geschäftspartnerin Teresa Tealdo kommt, um ihn abzulösen, und bin weg. So war’s, und dann habe ich ihn nicht mehr gesehen. Als ich wiederkam, war Teresa seit einer halben Stunde da, sie ist vor acht gekommen. Er war schon weg. Himmel noch eins, was für ein Pechvogel!«
»Sie können uns also nicht sagen, wer am Sonntagnachmittag hier war? Diego Cortez und seine Freundin Dolores zusammen mit Ermelinda Ventura, zum Beispiel?«
Giagio wollte gerade etwas sagen, als eine gutaussehende Frau um die vierzig aus einem seitlichen Bogengang heraustrat und ihm ins Wort fiel.
»Nein, weder Giagio noch ich haben sie gesehen, und wenn Gianluca sie gesehen hat, kann er uns das nicht mehr sagen, der Ärmste.«
Nelly blickte sie fragend an.
»Ich bin Teresa Tealdo, Giagios Lebensgefährtin und Partnerin hier im ›Speranza‹. Angenehm.«
Sie war eine flinke, sportliche Frau, sehr viel kleiner als ihr Partner, mit braunem Haar und ausdrucksvollen braunen Augen. Seit rund zwei Jahren kümmerten sie sich um das ›Speranza‹, erklärte sie, und sie kannten Gianluca gut, er half immer gern und suchte Gesellschaft, denn er war ein schrecklich einsamer Mensch. Nein, soweit sie wussten, hatte er keine Freundinnen. Sie und Giagio Anfosso waren der harte Kern des Clubs, aber drum herum gab es neben Gianluca noch drei oder vier Helfer, die für sie einsprangen, wenn sie mal wegmussten. Mitglieder, aber hauptsächlich Leute, für die der Club eine Art Ersatzfamilie war. Sie aßen oft mit ihnen und halfen beim Aufräumen. Teresa nannte Namen und Adressen, Gerolamo schrieb mit. Auf die Frage, ob sie
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