Das Böse, das im Herzen schläft: Thriller (German Edition)
und folgte seiner Mutter auf Schritt und Tritt, eine Hand beschützerisch in ihr Kreuz gelegt. Sie schubste ihn immer wieder sanft in die Richtung der beiden, aber stattdessen kam er zu mir. Auf seiner Oberlippe war ein flaumiger Halbmond gewachsen, und ich fragte mich, ob Tara erwartete, dass ich ihm beibrachte, wie man einen Rasierapparat benutzte. Sollte der Junge sich doch das Gesicht zerschneiden, um es zu lernen. Das hatte ich auch getan.
» Scheiße, ich hab denen doch nichts zu sagen«, erklärte er und deutete auf das afrikanische Paar. » Das ist doch der reine Fake . Alles nur Heuchelei. Die trauern doch nicht wegen mir oder meiner Grandma, sondern sie sind hier zum Andenken an meinen Dad. Als ob Mum nicht schon genug im Arsch wäre mit alldem. Ich habe meinen Dad überhaupt nicht gekannt, und sie wollen, dass ich diesen Charity-Bullshit mitmache. Dabei kennen sie mich gar nicht. Nicht, wie meine richtige Granny mich kannte, und nicht…« Seine Augen begannen zu schwimmen, und als er sich wieder an Tara drückte, behielt sie ihn dicht bei sich.
Ich belud mir einen Teller mit einer Scheibe von pochiertem Lachs und etwas Salat und ging damit zu einem Tisch. Auf den leeren Stuhl neben mir setzte sich W ill.
» Alter Knabe?«, begrüßte er mich.
» Alter Knabe . W ie hältst du dich?«
» Schwer zu sagen, um ehrlich zu sein. Es ist alles so… na, alles auf einmal, weißt du?«
Er deutete auf Sophie, die in der Mitte des Saals die Bühne beherrschte. Das Baby lag wie eine fette weiße Larve auf ihrer Schulter. Sie schaute jeden außer ihren Mann an, und das verriet mir, dass sie meine Bilder tatsächlich gesehen hatte. Ich empfand diese V erschwendung wie einen bitteren V erlust. Die Frustration darüber, dass ich die Fotos nicht selbst hatte übergeben können, wurde nur teilweise dadurch gemildert, dass sie offensichtlich ins Ziel getroffen hatten. Und trotzdem war das Paar noch zusammen. W as musste man dieser Familie denn noch antun , um sie zu zerbrechen?
» Die Jungs sind bei einer Nachbarin«, sagte W ill, ohne Sophie aus den Augen zu lassen. » Wir machen’s hoffentlich richtig. Toby wäre der Sache vielleicht gewachsen, aber es ist so schwer, einen Unterschied zwischen ihm und Leo zu machen, und da Charlie natürlich… ich meine, es ist völlig ausgeschlossen…« Er schob sein Essen auf dem Teller herum. Ein oder zwei Mal holte er Luft, als wollte er noch etwas sagen, ließ es dann aber bleiben. Ich hielt den Mund; etwas an seinem Gesichtsausdruck ließ mich vermuten, er sei drauf und dran, mich ins V ertrauen zu ziehen, und ich wagte sogar zu hoffen, er werde mir die Insider-Version der sekundären Tragödie erzählen, die über seine Ehe hereingebrochen war. Stattdessen tat er auf eine peinlich durchsichtige W eise leutselig.
» Ein seltsames Gefühl, all die alten Gesichter wiederzusehen«, sagte er. » Ich habe sofort ein schlechtes Gewissen, als hätte ich meine Hausaufgaben nicht gemacht.«
» Wie meinst du das?«
» Die Hälfte der Leute hier haben mich unterrichtet.« Er zeigte mit der Gabel quer durch den Raum. » Das da ist mein alter Sportlehrer, Mr Potts. Und da ist Mrs Hilton; sie hat Latein gegeben, und ich bin sicher, bei dem alten Knaben im Tweed hatte ich Geschichte. W ie hieß er noch? Es liegt mir auf der Zunge.«
» Du warst Schüler auf der Cath?«
» Ja. Daher kenne ich Soph, auch wenn wir erst in Durham zusammen waren.«
» Das wusste ich nicht«, sagte ich. Ich drückte meine Gabel durch den Fisch auf den Teller. Sollte das Porzellan doch zerbrechen. » Da bin ich ja ein richtiger Außenseiter. Ich habe diese geheiligten Tore nicht durchschritten.«
» Oh, das sollte dich aber nicht stören. Ganz unter uns, alter Knabe: Ich bin mir auch immer ein bisschen wie ein Hochstapler vorgekommen. Hab’s auch nur durch die Hintertür geschafft.«
Ich wusste, was jetzt kam.
» Ich war ein Stipendiat. Ich glaube, sie hatten Mitleid mit mir. Ich und mein Dad, wir waren ja allein zu Haus. W ar nicht die beste Zeit, nachdem wir meine Mum verloren hatten, weißt du.« Er hustete in seine Serviette, um einen Absatz einzufügen. » Seit ich mit Sophie zusammen bin, waren die MacBrides mir so viel Familie, wie ich es mir wünschen konnte.«
Ein kleiner Aufruhr am anderen Ende des Saals zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Eine Frau mit dünnem weißem Haar versuchte, Sophie das Baby wegzunehmen, und Sophie fauchte sie regelrecht an.
» Ach, verdammt, ich sollte wohl…« W
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