Das Böse im Blut: Roman (German Edition)
die Iren hätten doch durch ihren gemeinsamen Glauben stärkere Bande mit den Mexikanern als mit den amerikanischen protestantischen Soldaten. Die Zettel gelobten, dass jeder Yankee, der sich entschloss, zur Verteidigung von Mexiko und der Heiligen Mutter Kirche zu kämpfen, für seine ehrenwerte Tat reich belohnt werde. Jedem Amerikaner, der sich der mexikanischen Seite anschloss, wurde ein Eintrittsbonus zugesichert. Jedem Mann wurde ein Rang versprochen, der seiner Ausbildung und Erfahrung entsprach, auf keinen Fall würde er einen Rang bekleiden, der niedriger war als der, den er bei der amerikanischen Army eingenommen hatte, und auf jeden Fall würde er besser entlohnt. Und man versprach Land. Jeder, der zur mexikanischen Seite überwechselte, würde mindestens 200 Ar bestellbaren Landes erhalten, mit mindestens 100 Ar zusätzlich für jedes weitere Dienstjahr.
An einem wolkenlosen Abend kurz nachdem die neuesten Zettel ebenso geheimnisvoll wie immer ihren Weg über den Fluss und ins Yankee-Lager gefunden hatten, saßen die drei Freunde auf dem Felsvorsprung und blickten hinüber zu dem hell erleuchteten Ort, wo gerade eine Fiesta stattfand. Taylor hatte jetzt am Ufer alle paar Yards Wachen aufstellen lassen, ebenso sehr um seine eigenen Soldaten davon abzuhalten, zur anderen Seite überzuwechseln, wie als Abwehr gegen Unterwanderer.
Die Klänge von Musik und Gelächter kamen von der Fiesta zu ihnen herübergeweht. Die Düfte würziger mexikanischer Speisen vermischten sich mit dem kräftigen Geruch des umgebenden Landes. Glühwürmchen leuchteten grünlich in der lauen Nachtluft.
Lucas Malone schaufelte mit der Hand Erde auf und ließ sie zwischen seinen Fingern hindurchrieseln. Sein Blick war verschwommen und entrückt.
»Ich hab heute mit diesem Mexie-Burschen drüben bei der Koppel gesprochen, den alle für einen Maultiertreiber halten, ist er aber nicht«, sagte Riley kaum lauter als im Flüsterton und sah dabei über den Fluss. »Er ist von der andern Seite. Heißt Mauricio. Spricht gut Englisch und hat mit vielen von den Jungs geredet. Meistens mit andern Iren, aber auch mit den Deutschen. Sagt, da sind schon vierzig oder mehr von uns da drüben.«
John sah ihn an, sagte aber nichts. Lucas blickte auf die Erde, die zwischen seinen Fingern hindurchglitt.
»Hat gesagt, dort würde man mich zum Offizier machen«, sagte Riley, immer noch ohne sie anzusehen. »Hat gesagt, Ampudia wird mich als den Soldaten nehmen, der ich bin.«
Niemand sagte etwas. Dann meinte Riley: »Wie willst du sonst jemals zu dem Stück Land kommen, das du unbedingt haben willst, wie du immer behauptest?«
Lucas sah ihn scharf an.
»Ich glaub nicht, dass sie den Krieg verlieren können«, flüsterte Riley. »Sind zu viele. Verdammt, das Land selbst wird diese Armee besiegen. Habt ihr die Karten gesehen? Da sind nur Berge von einem Ende bis zum andern.« Er wandte sich jetzt ihnen zu. »Nicht jeder hat die Chance, das zu bekommen, was er sich am meisten wünscht. Es ist meine Chance, der Soldat zu sein, der ich bin, den Rang zu haben, den ich verdiene. Du, Lucas Malone, was du willst, das weiß ich. Das ist auch deine Chance. Und du, Johnny, was willst du mehr als alles andere? Auch dein eigenes Stück Land, wie Lucas hier? Ich hab den Blick in deinen Augen gesehen, wenn er davon redet, aber ich hab es dich nie sagen hören.«
John sah vom einen zum anderen. Was er sich wünschte, war unaussprechlich. Wie sollte man denn etwas erklären, das man nicht einmal sich selbst gegenüber in Worte zu fassen vermochte, das man nur im Pochen seines Blutes spürte? Wie könnte er ihnen denn erzählen, dass er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass ihm endlich Daddyjack und Maggie nicht mehr im Traum erschienen? Dass es ein Ende hätte mit dem nächtlichen Aufschrecken, wenn ihm das Herz wild in der Kehle schlug, wenn er an seiner eigenen Angst erstickte, sich gejagt fühlte von irgendeiner furchtbaren Nemesis, die mit jedem blutigen Sonnenuntergang näher rückte?
»Ohne ein Stück Land, das er sein Eigen nennen kann«, sagte er, »ist ein Mann nur ’ne Feder im Wind, ist das nicht so?«
6 Er hätte lieber noch ein paar Tage gewartet, bis der Mond abnahm und verschwand – oder zumindest bis eine wolkige Nacht ihnen bessere Deckung gab –, doch Riley und Lucas waren wild entschlossen, noch in derselben Nacht die Überquerung zu wagen. Und so schlüpften sie kurz nach Mitternacht aus dem Zelt und schlichen sich durch die tiefen
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