Das Böse im Blut: Roman (German Edition)
müssten bald jemanden zum Ausrauben finden, sonst würden sie anfangen, sich aus reiner Langeweile gegenseitig umzubringen.
18 Knapp südlich von Sabinas lauerten sie im kalten Nieselregen einer Passagierkutsche auf. Bei ihrem Anblick warfen die beiden berittenen Wachen ihre Waffen weg und hoben die Hände, die Wache neben dem Fahrer tat dasselbe. Die Kiste enthielt zweihundert Pesos in Silber, alles andere waren Verträge und Urkunden und verschiedene andere Papiere, für die die Banditen keinerlei Verwendung hatten. Dominguez befahl den Passagieren, aus der Kutsche zu steigen, und ein Compañero namens Chucho durchsuchte sie nach Waffen und Wertgegenständen. Einer der fünf Passagiere war eine in einen Kapuzenmantel gehüllte Frau von reizlosem Äußeren, Gattin eines teuer gekleideten Mannes neben ihr. Nachdem Chucho den Mann durchsucht und eine kleine Börse hervorgeholt hatte, die achtzig Pesos in Goldmünzen enthielt, machte er Anstalten, die Frau zu durchsuchen. Doch der Ehemann trat zwischen sie und verbot Chucho, Hand an sie zu legen. Chucho zog seine Pistole und blickte zu Dominguez hoch, der auf seinem Pferd saß. Dominguez sagte dem Mann, es sei das Beste für ihn, wenn er erlaubte, dass seine Frau durchsucht werde, doch der Mann meinte, das käme nicht infrage. Dominguez zuckte die Achseln, wandte sich zu Edward und sagte: »Mátalo«, und machte mit Daumen und Zeigefinger eine Schießbewegung.
Er wusste, dass er damit hatte rechnen müssen. Natürlich würden sie ihn auf die Probe stellen. Natürlich würde er zeigen müssen, dass er einer von ihnen war. Einen Moment lang sah er sich als jemanden, der noch nie kaltblütig gemordet hatte, doch dann erinnerte er sich an einige der harmlosen Indianer, die er mit den anderen abgeschlachtet hatte. Trotzdem, das waren Indianer gewesen. Das hier war ein unbewaffneter weißer Mann, der da vor ihm stand und nur seine arme Frau beschützen wollte. Er zog den Colt und richtete ihn auf den Mann.
»Mira esa bonita pistola!« sagte Dominguez zu Pedro Arria und bewunderte den Five-Shooter.
Der Mann schob seine Frau sanft aus der Schusslinie, funkelte dann zu Edward hoch und sagte: »Crees que te tengo miedo, gringo? Nunca!
Nunca
, maldito!«
Edward spannte die Waffe und zielte zwischen die Augen des Mannes und fragte sich, wie er es erklären könnte, nicht zu schießen. Mit einem Mal wurde ihm klar, dass es keinen wirklichen Unterschied machte, ob er diesen Mann erschoss oder nicht, genauso wenig wie es etwas änderte, wenn er es tat. Mit der Zeit wären sowohl er als auch dieser Mann tot und jegliche Spur ihrer Existenz längst verschwunden. Als hätte keiner von beiden je existiert. Und doch existierten sie, beide,
jetzt
, und obwohl ein Mann in seiner Lebenszeit tat, was er tun musste, einfach weil es in seinem Blut war, hatte er vielleicht manchmal die Wahl, sich dem Drängen seines Blutes zu widersetzen. Und so konnte er sich in diesem Moment entscheiden,
nicht
zu schießen.
Wozu er sich in diesem Moment tatsächlich entschieden hätte, würde er nie wissen, denn in diesem Augenblick zog die Frau eine kleine Zweischuss-Pistole unter ihrem Gewand hervor und schoss auf ihn. Edwards Hutkrempe zuckte, sein Pferd scheute, und er schoss ihr durch die oberen Zähne. Im selben Augenblick erschoss Fredo den Mann. Und dann schossen alle und mühten sich, ihre erschrockenen Pferden im Zaum zu halten. Alle Passagiere fielen blutend zu Boden und schrien in dem Schusswechsel und dem dichter werdenden Dunst von Pulverrauch. Die zwei berittenen Wachen wendeten ihre Pferde, um zu fliehen, und Edward erschoss einen, und Dominguez holte den anderen herunter. Die Wache auf der Kutsche feuerte mit einer Pistole, und einer der Compañeros kippte vom Pferd. Edward erschoss den Wachmann. Dem spritzte das Blut aus dem Hals, und er fiel von der Kutsche. Der Kutscher stand mit hoch erhobenen Händen auf, doch Fredo erschoss auch ihn.
Jetzt stiegen einige der Bandidos ab und erledigten mit ihren Messern diejenigen der Kutschengesellschaft, die noch atmeten. Der gefallene Compañero war im Bauch getroffen worden, und sein Hemd war hellrot mit dickem Blut. Pedro Arria stand über ihn gebeugt, untersuchte die Wunde, blickte jetzt zu Dominguez auf und schüttelte den Kopf.
»No! No, jefe!« rief der Verletzte Dominguez zu. »Estoy bien! Ya lo verás, jefe!« Er ächzte vor Schmerz bei dem Versuch, sich zu erheben, und fiel dann stöhnend mit schmerzverzerrtem Gesicht
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