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Das Böse in dir

Titel: Das Böse in dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
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fand um eins in einer alten, idyllischen und sehr exklusiven presbyterianischen Kirche in Jefferson City statt. Das Gebäude bestand aus grauem Granit. Das Hauptportal wurde von zwei hohen Glockentürmen flankiert, und unzählige aus Stein gemeißelte Kreuze zierten die Fassade. »1914« stand auf der Bronzeplakette neben dem Eingang. Die Kirche befand sich nur wenige Häuserblocks vom Kapitol und dem Missouri River entfernt. Black und ich warteten draußen an der frischen Luft. Da mich nur wenig an der Vorstellung reizte, den Duft von Nelken und Rosen zu schnuppern, der diesen Kultstätten des Todes unweigerlich anhaftet, lungerten wir vor dem Gebäude herum wie zwei elegant gekleidete Obdachlose. Zumindest galt das für Black, der einen makellosen anthrazitfarbenen Anzug, ein graues Hemd und eine Krawatte in einem dunkleren Grauton trug, unauffällig und dem feierlichen Anlass angemessen.
    Ich hatte mich für einen ebenso konservativen schwarzen Hosenanzug entschieden, den ich in einem Anfall von Vernunft bei JCPenney gekauft hatte, da Beerdigungen in Zukunft offenbar auch weiterhin auf meiner Liste der Dinge stehen würden, die ich hasste, aber nicht vermeiden konnte, also reiß dich zusammen und bring es hinter dich . Wagenladungen von Trauergästen trafen ein. Die meisten waren in Schwarz, trugen düstere oder mitfühlende Mienen zur Schau und hasteten an uns vorbei zu den langen Sitzreihen aus gebleichtem Eichenholz. Mir schoss durch den Kopf, dass Black und ich seit dem Anfang unserer Beziehung schon viele Beerdigungen besucht hatten, genau genommen waren es die einzigen gesellschaftlichen Ereignisse, die wir überhaupt mit unserer Anwesenheit beehrten. Doch dem Ruf der Pflicht musste man eben gehorchen.
    Nach einer Weile, im allerletzten Moment und kurz nachdem die deprimierende Musik verklungen war, betraten wir die Kirche und stellten uns in die offenen Türen, die ins gewaltige Kirchenschiff führten. Als die Familie schließlich aus einem seitlich gelegenen Warteraum hereinkam, fiel mir sofort auf, dass Mikeys Mom ganz in Weiß gekleidet war. Für mich sah das ganz nach einer geschmacklosen demonstrativen Geste aus. Vielleicht aber glaubte sie ja auch, in China zu leben, wo Weiß die Farbe für Beerdigungen ist. Black kannte viele der Anwesenden, insbesondere auch den Gouverneur, persönlich, und als Edward Stanton eintraf, ging er zur Seitentür hinüber, um den großen Mann zu begrüßen, der dort auf seine Showeinlage wartete. Ich beobachtete, wie die beiden Männer sich lächelnd die Hand schüttelten, als seien sie die besten Freunde. Dann wechselten sie mit leiser Stimme ein paar Worte. Dabei wurden sie die ganze Zeit von einem Trupp von Polizisten von der Missouri Highway Patrol und anderen Babysittern umringt, die alle einen Eid geschworen hatten, den mächtigsten Mann im Staate Missouri zu beschützen. Ihre Anzüge erinnerten mich sehr an meinen eigenen.
    Als die Orgelklänge, alias Trauermusik, von ehrfürchtigem Schweigen abgelöst wurden, huschte Black wieder zu mir hinüber, und wir schlüpften so unauffällig wie möglich in die hinterste Reihe, mein Lieblingsplatz bei fast allen Veranstaltungen. Sie wissen schon, um alles im Blick zu haben und bösen Buben mit Messern oder Pustepfeilen nicht den Rücken zuzukehren. Der Gouverneur hingegen hielt offenbar nicht viel von bescheidenen Auftritten. Gefolgt von seinem Tross aus Sicherheitsleuten schritt er den Mittelgang entlang, als gelte die ganze Veranstaltung ihm. Zu meiner Erleichterung versperrte mir eine große weiße Säule die Sicht auf den Sarg. Glauben Sie mir, das war auch besser so. Ich hatte im Leben schon genug Särge gesehen und wusste, dass der hier offen war, und dieser Anblick ist für mich das Allerschlimmste.
    Inzwischen war es totenstill in der Kirche, verzeihen Sie mir das ungeschickte Sprachbild. Alle waren ernst, ergriffen, ehrfürchtig, emotional und was der E-Wörter noch mehr sind. Ein Mann stand auf, um eine Rede zu halten. Er war der erste in einer langen Reihe von Freunden und Verwandten, die etwas Gutes über Mikey Murphy zu sagen hatten. Lustige Anekdoten. Was für ein niedlicher kleiner Junge er gewesen war. Wie er schon mit acht Monaten laufen gelernt hatte. Wie er ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden war, der die beste Pizza westlich von Neapel buk. Sicher verstehen Sie, was ich meine.
    Nach einer Weile hörte ich nicht mehr zu und beobachtete stattdessen die anderen Anwesenden, von denen viele sich mit

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