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Das Böse in dir

Titel: Das Böse in dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
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dem ebenfalls teuren Orientteppich, diesmal blau, tannengrün und ockerfarben gemustert, neben dem Tisch auf die Knie fiel. Blasiertheit und Arroganz waren auf einmal fort, entwichen wie die Luft aus einer Luftmatratze mit Loch. Es war der größte Verlust im Leben, ein Schrecken, der niemals endet. Ein Stöhnen stieg tief aus seiner Kehle auf, ein schreckliches Würgen, worauf Bud mir einen ratlosen Blick zuwarf. Ich hatte keine Ahnung, was wir tun sollten. Allerdings machte keiner von uns Anstalten, ihn zu berühren oder ihm tröstend die Hand auf die Schulter zu legen, wie wir es manchmal in anderen Fällen taten.
    »Oh, mein Gott, mein Gott, mein Gott«, schluchzte Murphy. Inzwischen war seine Stimme lauter, auch wenn man ihn kaum noch verstehen konnte. Und im nächsten Moment brach er verzweifelt in Tränen aus. Seine herrische Fassade war in sich zusammengestürzt, sein Verstand von der Wucht des Undenkbaren aus der Bahn geworfen. Das wusste ich, das wusste ich nur zu gut.
    »Bitte nehmen Sie Platz, Mr Murphy«, sagte ich. »Ich kann mir vorstellen, wie schrecklich es für Sie sein muss.«
    Offenbar hatte Murphy mich verstanden, denn es gelang ihm, sich auf den nächstbesten Stuhl zu hieven. Er verschränkte die Arme auf dem Tisch, ließ den Kopf darauf sinken und weinte wie ein vernachlässigtes Baby. Verlegen warteten wir darauf, dass er sich wieder beruhigte.
    Allerdings kam Murphy nicht so schnell über den Schock hinweg, und er lebte seine Trauer in voller Lautstärke aus.
    »Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen ein Glas Wasser oder einen Kaffee hole, Sir?«, schlug Bud nach etwa zehn Minuten ruhig vor. »Vielleicht hilft das ja ein bisschen.«
    Murphy blickte auf. Inzwischen war sein Gesicht blass und fleckig. Wieder schüttelte er ein paarmal den Kopf. Sein akkurat gestutztes hellbraunes Haar saß nun nicht mehr makellos. Die Brille mit Goldrand lag achtlos auf dem Tisch. Sein Leben war zerstört. Endlich wischte er sich mit dem gestärkten weißen Taschentuch aus der Brusttasche seines marineblauen Anzugs das nasse Gesicht ab. »O Gott, nein, sagten Sie, es sei Selbstmord? Mikey hat Selbstmord begangen? O Gott.«
    »Es scheint sich so zu verhalten, Sir. Allerdings haben wir gerade erst mit den Ermittlungen begonnen. Es besteht auch die Möglichkeit, dass sich der Tod Ihres Sohnes als Tötungsdelikt erweist. Einzelheiten können wir Ihnen jedoch erst mitteilen, wenn alle Beweise sichergestellt und von der Rechtsmedizin ausgewertet wurden, was in diesen Minuten geschieht.«
    Murphy holte einige Male tief Luft, aber es schien nicht viel zu nützen. Seine Hände zitterten, sein Körper auf dem Stuhl wirkte zusammengesackt, und er rang weiter um Fassung. »O mein Gott, das ist unmöglich. Das kann nicht sein.«
    Wir alle drehten uns um, als sich eine Tür am anderen Ende des Raums öffnete und der ehrenwerte Gouverneur Edward Stanton höchstpersönlich erschien. Er war ein würdig aussehender Herr Anfang fünfzig, der die letzte Wahl mit erdrutschartigen siebzig Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Ich hatte ihn nicht gewählt, weil er mir zu schmierig und selbstgerecht war. Bud auch nicht, aber der hatte die Wahl schlichtweg verschwitzt.
    Stanton war laut Black, der ihn angeblich persönlich kannte, der Inbegriff eines Politikers. Heute trug er einen grauen Nadelstreifenanzug, ein weißes Hemd und die obligatorische amerikanische Flagge am Revers, wie Barack Obama es sich auch zähneknirschend angewöhnt hatte. Seine Augen waren kohlschwarz und funkelten eindringlich. Sein Haar wurde an den Schläfen grau. Vielleicht ließ er es ja auch bei einem teuren Friseur bleichen, um älter und weiser zu wirken. Allerdings konnte mein Eindruck von ihm auch Ergebnis meines ausgeprägten und tief sitzenden Argwohns und/oder Widerwillens gegenüber allen Politikern sein, ganz gleich welcher Couleur.
    Eddie-Boy zeigte im Fernsehen stets ein strahlendes freundliches Lächeln, doch jetzt lächelte er nicht. Hoch gewachsen, schlank und sehr sportlich für sein Alter, marschierte er durch den Raum auf uns zu. Ich hätte jede Wette abgeschlossen, dass er Golf spielte und ansonsten in seinem Ferienhaus in Vermont Dinge wie Langlauf trieb. Sein Blick galt einzig seinem erschütterten Berater. »Joseph? Was ist? Was zum Teufel ist hier los?«
    Murphy rang dem großen Boss zuliebe um Beherrschung. Als ihm das nicht gelang, sah er mich aus tränenfeuchten traurigen Augen an. Ich verstand die Botschaft.
    Ich ergriff das Wort.

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