Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Böse in dir

Titel: Das Böse in dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Ladd
Vom Netzwerk:
für die Zukunft. Eine echte Live-Sendung im Fernsehen, in der du ungelöste Fälle aufklärst. Dann wärst du ein großer Star und würdest jede Menge Kohle verdienen.«
    »Komm mit runter, Joe, und hilf mir, das Boot festzumachen. Heute Nacht soll es einen Sturm geben«, sagte Harve.
    »Okay, klar. Claire, kannst du Lizzie im Auge behalten? Es dauert nicht lang.«
    Ich erstarrte. Ich wollte Elizabeth nicht im Auge behalten, ja, nicht einmal mit ihr allein gelassen werden. Es tat zu weh. Ich hatte meinen Sohn verloren, als er etwa zwei gewesen war, also ungefähr so alt wie Elizabeth heute. Er war in derselben Nacht gestorben, in der eine Kugel Harves Rückenmark durchtrennt und seine Karriere beendet hatte. Und an beiden Tragödien trug ich die Schuld. Ich drängte das Grauen in einen düsteren Winkel zurück. McKay und Harve gingen doch nur runter zum Wasser, also keine zwei Meter weit. Elizabeth spielte mit meinem Hund. Wie schwierig konnte es also sein?
    »Okay. Offenbar hat sie viel Spaß mit Jules Verne.«
    Ich machte es mir auf einem Gartenstuhl mit grünweiß gestreiften Polstern nahe der Stelle gemütlich, wo Elizabeth auf den Bohlen saß. Jules rieb sich an ihr und bettelte um Aufmerksamkeit. Das Kind lächelte zwar nicht, hatte aber wenigstens nicht mehr diesen schrecklichen, starren Augenausdruck. Gott sei Dank. Ich selbst hatte diesen Ausdruck schon häufig genug gezeigt, und er war nicht so leicht loszuwerden. Das wusste ich aus Erfahrung.
    Wenig später aßen wir auf dem Steg zu Abend. Der Sommerabend dämmerte blaugrau, und das schrille Zirpen von Tausenden von Insekten war zu hören. Das Plätschern des Sees an den Pfosten lullte uns ein und vermittelte uns ein trügerisches Gefühl der Sicherheit, während die Wipfel der Hickorys und Ahornbäume über uns raschelnd Geheimnisse raunten. Am anderen Seeufer sah ich Blitze, die die dunklen Wolken über den violetten Bergen in der Ferne erhellten. Die Luft roch nach Regen, Ozon und den Fischgedärmen, die Harve noch vergraben musste.
    Da Harve einige Räucherspiralen aufgestellt hatte, um die blutrünstigen Moskitos zu vertreiben, und der auffrischende Wind die Bestien zusätzlich in Schach hielt, konnten wir draußen sitzen bleiben, anstatt uns auf die von Fliegengittern geschützte kleine Veranda zu flüchten. Ich beobachtete, dass Eli­zabeth den Großteil des Essens auf ihrem rot karierten Pappteller an Jules verfütterte, der sich gebärdete, als hätte er von mir in den letzten beiden Jahren keinen einzigen Bissen bekommen. Nach einer Weile zogen wir auf die in einem Kreis aufgestellten Polstersessel um, unterhielten uns und sahen zu, wie das Gewitter über dem See näher rückte. Ich war überrascht, als Elizabeth gähnte, zu meinem Sessel kam und auf meinen Schoß kletterte. Ungeschickt und verlegen hielt ich sie fest und versuchte, nicht an Zach zu denken, als sie ihren warmen kleinen Körper an mich schmiegte. Im nächsten Moment schaute sie zu mir hoch. Ihre kleinen Augenbrauen waren erstaunt hochgezogen. »Zach?«, flüsterte sie klar und deutlich.
    Es verschlug mir den Atem, und ich war vor Schreck wie erstarrt. Doch dann erschlafften ihre Muskeln, ihr fielen die Augen zu, und kurz darauf war sie eingeschlafen. Ich wagte kaum zu atmen, immer noch unter Schock, weil sie den Namen meines Sohnes ausgesprochen hatte, und zitterte am ganzen Leibe. Als ich sie betrachtete, sah sie zur Abwechslung sehr friedlich aus, und ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie wenigstens in dieser Nacht keine Albträume haben würde.
    Als Harves Telefon läutete, fuhr er mit dem Rollstuhl ins Haus. Joe setzte sich in den Sessel neben mich und musterte lächelnd seine Tochter. »Sie mag dich, Claire. So etwas tut sie sonst nur bei mir, sonst bei niemandem. Nicht einmal bei Harve, obwohl sie ihn liebt.«
    Mir fiel nur meine übliche Antwort ein, wenn wir über Elizabeth sprachen. »Ich habe keinen Draht zu Kindern.« Aber dann musste ich ihm die Frage einfach stellen. »Lizzie hat etwas zu mir gesagt, für das ich keine Erklärung habe.«
    »Was denn? Sie redet ja nicht viel.«
    »Sie hat ›Zach‹ gesagt. Das war der Name meines Sohnes.«
    McKay starrte mich kurz an. Dann blickte er durch das große Fenster ins Haus, wo Harve telefonierend am Schreibtisch saß. »Ich weiß von deinem Sohn, Claire. Harve hat es mir erzählt. Es tut mir wirklich leid, dass dir so etwas passiert ist.«
    O Gott, er sollte damit aufhören. Ich wollte nicht über Zach sprechen.

Weitere Kostenlose Bücher