Das Boese in uns
Aber Bonnie ist kein kleines Kind mehr. Sie wusste, dass wir nicht gutheißen würden, was sie tut, und sie hat es bewusst vor uns verborgen.« Ich erzähle ihr von dem zweiwöchigen Internet-Verbot.
»Ich werde dafür sorgen, dass sie es einhält«, sagt Elaina.
»Gut. Ich glaube nicht, dass es Probleme geben wird. Sie hat die Strafe reumütig auf sich genommen.«
»Ach?« Ich bin froh, eine Spur von Erheiterung in Elainas Stimme zu hören. »Vielleicht sollte uns das mehr zu denken geben als alles andere.«
»Vielleicht. Und jetzt hör auf, dir Vorwürfe zu machen. Ich liebe dich.«
Sie seufzt. »Ich liebe dich auch. Gib meinem Mann einen Kuss von mir. Bonnie will dich noch mal sprechen.« »Okay.«
»Smoky.« Bonnies aufgeregte, ein wenig atemlose Stimme. »Ich habe vergessen, dir etwas zu sagen.« »Was denn?«
»Dieser Mann ... der Mann, der sich >Prediger< nennt.« »Ja?«
»Schnapp ihn und bring ihn für den Rest seines Lebens ins Gefängnis. Ich will, dass er hinter Gittern stirbt.«
Es ist keine Bitte, es ist eine Deklaration. Bonnie hat gesehen, was dieser Mann getan hat, und das ist schlimmer als alles, was ihr sonst noch zu schaffen macht.
»Ich werd's versuchen, Bonnie.«
»Gut.«
Sie legt wortlos auf. Ich starre einen Moment auf das Telefon, verwirrt und beunruhigt zugleich. Bonnie ist von Anfang an etwas Schlichtes, zugleich aber Kompliziertes in meinem Leben gewesen. Das Schlichte ist meine Liebe zu ihr. Sie ist unbeschränkt und rein. Das Komplizierte ist Bonnie selbst. Sie hat die Heiterkeit eines Kindes, doch sie hat auch Schichten wie eine Erwachsene -Schichten, zwischen denen sich Dinge verbergen, von denen ich nicht sicher bin, ob ich sie jemals sehen werde. Sie hat gelernt, wie sie ihre Geheimnisse für sich bewahren und bequem damit leben kann. Manchmal macht es mir Sorgen, die meiste Zeit aber nicht. Es ist einfach so.
Bonnie, das wird mir immer deutlicher, verwandelt sich in einen Teenager wie ein Werwolf im Licht des Vollmondes, und damit einher kommt, wie es scheint, die Fähigkeit zur Verschleierung und die Bereitwilligkeit zum Lügen. Das würde mich nicht weiter beunruhigen; so ist nun mal der Lauf der Dinge. Das Problem ist: Bonnie lügt nicht wegen heimlichen Rauchens oder wegen heißer Küsse mit einem Jungen. Sie hat sich an den Computer geschlichen, um sich die letzten, furchtbaren Augenblicke dieser Frauen anzusehen.
Es gibt nichts auf der Welt, wird mir klar, das so sehr wie die Mutterschaft dazu geeignet ist, ein Gefühl von Hilflosigkeit oder Dummheit in einem zu wecken.
Ich verlasse mein Büro. Der Mahlstrom erwartet mich.
»Dieser Fall legt gnadenlos die Lücken in unseren Suchsystemen offen«, schimpft Alan. »Habt ihr gewusst, dass das NCIC mehr als hunderttausend ungelöste Vermisstenfälle verzeichnet, von denen weniger als hundert im AFIS gespeichert sind?«
Das NCIC, das National Crime Information Center, ist eine Datenbank, die dem FBI und den Polizeibehörden bundesweit aktuelle Daten über gesuchte Personen und andere Informationen liefert. AFIS, das Automatisierte Fingerabdruckidentifizierungssystem, stützt sich auf die Fingerabdruck-Datenbanken verschiedener Ermittlungsbehörden. Die beiden anderen großen Datenbanken, die für unsere Arbeit von Bedeutung sind, sind CODIS, eine nationale Datenbank mit den DNA-Profilen vermisster Personen und verurteilter Straftäter, sowie VICAP.
»Nur fünfzehn Prozent der nicht identifizierten menschlichen Überreste sind im NCIC gespeichert. CODIS gibt es seit 1990, und es wächst ständig. Doch es ist immer noch kaum mehr als ein Tropfen im Ozean.«
CODIS war ein Geniestreich. Wenn jemand verschwindet und nicht binnen dreißig Tagen wieder auftaucht, wird eine DNA-Probe veranlasst - falls die Möglichkeit besteht, von einem Gegenstand, der der vermissten Person gehört hat (Haare von einer Bürste etwa, oder Speichel von einer Zahnbürste), oder man nimmt eine Vergleichsprobe von einem Blutsverwandten. Die DNA wird analysiert und in der Datenbank gespeichert. Wird ein Leichnam aufgefunden, kann er häufig mittels CODIS identifiziert werden. Es hat sogar Fälle gegeben, in denen jahrelang vermisste Kinder dank CODIS lebend wiedergefunden werden konnten.
Das Problem bei diesen Datenbanken ist die Kooperation. Wenn örtliche Polizeibehörden die Formulare nicht ausfüllen und keine DNA-Proben nehmen, kann nichts in einer Datenbank gespeichert werden. Wenn die Informationen zur Verfügung stehen, muss
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