Das Boese in uns
Baby?«
Schweigen.
Dann: »Ich habe ein paar von den Videoclips gesehen.« Ich sacke im Sessel zusammen. Gütiger Himmel. »Wie hast du das gemacht?«
»Ich ... ich ... du erinnerst dich, worüber wir gesprochen haben. Ich will später mal die Arbeit tun, die du machst. Ich hab die Nachrichten gesehen, den Computer eingeschaltet und eine Seite gefunden, auf der die Clips gespeichert waren.«
»Wie viele hast du dir angeschaut, Bonnie?«
Ich höre sie schlucken. »Zuerst nur einen. Es war dieses Mädchen, April hieß sie. Der Kerl ließ sie erzählen, wie sie ihr Baby gequält hat. Mir wurde schlecht. Ich bin ein Dummkopf«, murmelt sie kleinlaut. »Ich war wütend auf mich selbst, weil mir schlecht geworden war, also bin ich wieder an den Computer zurück und hab mir noch welche angesehen.«
»Wie viele?«
»Vielleicht dreißig ...«
»Jesses! Bonnie!«
»Sei nicht böse, Smoky. Bitte, nicht böse sein.«
»Ich bin nicht böse, Bonnie, aber ich werde dein Benutzerkonto für eine Weile einschränken«, sage ich. »Du hättest mich oder Elaina fragen müssen, bevor du so etwas tust, und das weißt du.«
Sie seufzt. »Ja.«
»Und?«
»Ich wusste, dass du Nein sagen würdest.« »Okay. Kein Internet in den nächsten beiden Wochen. Nur, was du für deine Hausaufgaben benötigst. Verstanden?«
»Ja.«
Okay, genug davon.
»Und wie fühlst du dich? Ist alles in Ordnung?«
»Ich weiß nicht. Am meisten hat mir zu schaffen gemacht, was dieser Mann gesagt hat. Es ergibt Sinn. Was er über die Wahrheit gesagt hat, zum Beispiel. Ein Mann wie er, der Dinge tut wie er ... es macht mir Angst, dass er sinnvolle Dinge sagt, die man verstehen kann.«
»Ich weiß, Bonnie.«
»Es geht mir nicht aus dem Kopf. Die Frauen ... all das Schlimme, das sie getan haben ... das war böse, aber noch schlimmer ist, wenn man dem Mann recht geben muss in dem, was er sagt.«
»Wenn auch du später mal als Agentin arbeitest, wirst du häufig auf dieses Problem stoßen. Ein Verbrechen als solches ist immer etwas Böses. Bei den Menschen selbst aber gibt es Abstufungen. Deshalb kommt es mehr darauf an, was sie tun und nicht so sehr, was sie sind.«
»Wie meinst du das?«
»Ein Mann kann beispielsweise behaupten, dass es für ihn die wichtigste Eigenschaft ist, ein guter Vater zu sein. Und dann geht er nach Hause und verprügelt seine Kinder. Oder noch schlimmer, derselbe Mann ist Psychiater und behandelt die Kinder anderer Leute, vielleicht schon seit Jahren. Vielleicht hat er schon vielen Kindern geholfen. Für mich als Agentin aber zählt nur, dass er nach Hause geht und seine eigenen Kinder schlägt.«
Bonnie ist still, während sie über meine Worte nachdenkt.
»Ich glaube, ich brauche noch Zeit, um das zu verstehen.«
Sie hat recht, aber irgendwann wird sie es begreifen. Bonnie ist wie ein spiegelglatter See, ruhig und still. Doch unter der Oberfläche, wo die Sonne niemals scheint und wo die Krebse sich verbergen, geschehen viele Dinge.
»Wir können ja noch mal darüber reden, okay?«, sage ich.
»Okay.«
»Versprochen?«
»Ich verspreche es, Smoky. Mir geht's schon besser, ehrlich. Tut mir leid, dass ich etwas getan habe, das du nicht gewollt hättest.«
Mir entgeht die Formulierung nicht. Sie entschuldigt sich nicht für das, was sie getan hat, sondern dafür, dass sie mich damit verärgert hat.
»Entschuldigung angenommen. Aber vergiss nicht - zwei Wochen kein Internet.«
»Ich werde es nicht vergessen.« »Und jetzt gib mir Elaina.«
Ein paar Sekunden vergehen, dann ist Elaina in der Leitung.
»Oh, Smoky.« Sie klingt so elend, dass ich durch die Leitung kriechen und sie an mich drücken möchte.
»Mach dir keine Vorwürfe, Elaina. Bis jetzt hatten wir immer nur Glück bei Bonnie. Ich nehme an, so was war längst fällig.«
»Vermutlich hast du recht, aber ich fühle mich trotzdem schuldig. Sie hat an ihrem Laptop gesessen und die drahtlose Internetverbindung benutzt. Ich habe in der Nacht nicht gut geschlafen, deswegen wollte ich ein Nickerchen machen, hab dann aber ein paar Stunden geschlafen. In dieser Zeit hat Bonnie sich die Clips angesehen. Es tut mir leid, Smoky.«
»Elaina, bitte. Du bist ihre zweite Mutter. Du hast ihre Schulausbildung auf dich genommen, du kümmerst dich um sie, wenn ich Überstunden machen muss. Du tust eine Menge. Sei nicht so hart gegen dich selbst.«
»Danke. Ich danke dir, aber wie würdest du dich an meiner Stelle fühlen?«
Ich würde mich fühlen wie Dreck.
»Ich weiß.
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