Das Boese in uns
ist eine traurige Tatsache.
Doch das glaube ich in diesem Fall nicht. Nicht dieses Mal.
»Seien Sie diskret mit dieser Theorie«, ordnet AD Jones an. »Soweit ich informiert bin, musste die Mutter Beruhigungsmittel bekommen.«
»Das Format ist einfach«, sagt Jezebel, als ich den Fragebogen lese. »Wir behalten zwei Mitarbeiter an der Hotline. Abgesehen davon haben wir inzwischen die Identität sämtlicher Opfer bestätigt. James, ich und weitere vier Mitarbeiter rufen die Familien an. Bis zum späten Nachmittag müssten wir durch sein.« »Sehr gut«, sage ich.
Die Fragen sind so konstruiert, dass sie zu der erfundenen Geschichte des Sammeins von Hintergrundinformationen über die Opfer passen. Es sind breit gestreute, unverdächtige Fragen: »Hat sie das College besucht?« - »Hatte sie Kinder?« - »Zu welchen sozialen Gruppen hatte sie Kontakt?« Und mitten drin, vergraben unter allen anderen: »War sie religiös? Welcher Religionsgemeinschaft hat sie angehört?«
»Die Medien werden keinen Verdacht schöpfen«, sagt Jezebel. »Und die Familien werden mitmachen, jedenfalls der größte Teil.«
»Dann los.«
»Keine Wanzen in dieser Kirche, halleluja«, meldet Callie am Telefon. »Allerdings habe ich im Beichtstuhl eine Stelle gefunden, die aussieht, als wäre sie mit Holzkitt zugespachtelt worden.«
»Fingerabdrücke?«, frage ich ohne große Hoffnung.
»Fehlanzeige. Und der Holzkitt ist zwar interessant, hilft aber auch nicht viel weiter. Ich kann nicht sagen, wie lange er schon dort ist. Könnten Monate sein, oder Jahre.«
»Nicht Tage?«, frage ich mit dem erneuten Gedanken an meine eigene Beichte.
»Nein, bestimmt nicht. Er ist auf jeden Fall älter.«
»Ziemlicher Zufall, dass er überhaupt da ist«, sage ich.
»Was soll ich jetzt tun?«
»Ich möchte, dass du zu uns stößt. Wir sind unterwegs zu einem Tatort.« Callie schweigt.
Dann: »Er hat es also getan? Ein Kind?«
»Sieht so aus.«
»Gib mir die Adresse.«
Kapitel 32
Die Cavanaughs wohnen in einem Vorort von Burbank, in einem zweistöckigen Haus, das Anfang der Achtzigerjahre erbaut und zwischenzeitlich renoviert worden ist. Es handelt sich um eine jener kleinen Wohnstraßen, die man nur in Los Angeles findet. Still, abgeschlossen, von Bäumen gesäumt - und keine drei Blocks weiter findet man nichts als Beton und Hektik, Hektik, Hektik.
»Die Mediengeier kreisen bereits«, bemerkt Alan.
»Jung, weiß, Mittelschicht, weiblich und tot«, sage ich. »Das ist überall in den USA eine Titelstory.«
Man lässt uns durch die Absperrungen, die errichtet wurden, um die Medien und Neugierige auf Distanz zu halten. Nachbarn stehen vor ihren Häusern auf dem Rasen, entsetzt, dass ein Monster ihnen so nahekommen konnte, und dankbar, dass es nicht ihr eigenes Kind ausgesucht hat.
»Drei Streifenwagen«, stellt Alan fest. »Wahrscheinlich, um die Gaffer unter Kontrolle zu halten. Dazu zwei zivile Fahrzeuge. Der eine Wagen ist von der Stadt - wahrscheinlich ein Politiker, der wegen der Presse- und Fernsehleute hergekommen ist. Im anderen sitzen vermutlich die zuständigen Detectives vom Morddezernat.« Er schüttelt den Kopf. »Ich möchte jetzt nicht in ihrer Haut stecken.«
Ich stoße ein Schnauben aus. »Und was ist mit unserer eigenen Haut?«
»Es ist etwas anderes, wenn du ein Cop bist. Wir sind vom FBI. Wir können unser Ding machen und abhauen. Die Detectives stehen im Scheinwerferlicht und können nicht weg.«
»Hm. So hab ich das noch nie gesehen.«
»Wie willst du vorgehen?«
Ich werfe einen Blick auf meine Umgebung. Die meisten Medienvertreter sind damit beschäftigt, ihre Einstellungen abzudrehen, das Haus zu filmen, die Gegend, die Polizei. Helikopter kreisen über uns. Nachrichtenreporter umklammern ihre Mikrofone und proben lebhaft-dramatische Zusammenfassungen dessen, was sie bisher in Erfahrung gebracht haben. Doch es sind nicht sie, über die ich mir im Moment den Kopf zerbreche. Ich suche weiter und finde, was ich befürchtet habe.
»So ein Mist«, murmle ich vor mich hin. »Wir haben ein paar Typen von der cleveren Sorte.«
Damit meine ich die »echten« Nachrichtenleute. Diejenigen, die mehr Zeit mit Suchen als mit Reden verbringen, die mit der Nase in der Luft nach dem leisesten Hauch der echten Story schnüffeln. Das Team, das ich entdeckt habe, wird von einer Frau geführt. Sie ist blond, Mitte dreißig, gut gekleidet in einen dunklen Hosenanzug. Sie beobachtet nicht das Haus, sondern starrt zu uns
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