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Das Boese in uns

Das Boese in uns

Titel: Das Boese in uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyen
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hatten ihn nach ihrer Mutter gefragt?
    Sie sei bei ihrer Geburt gestorben, hatte er ihnen erzählt. »Sie ist jetzt bei Gott«, hatte er gesagt, »und ihretwegen bin ich Priester geworden. Lasst sie in Frieden ruhen.«
    Eines Tages hatten sie aufgehört zu fragen, doch die Sehnsucht nach ihrer Mutter war stets geblieben.
    Und warum klang diese Frauenstimme so vertraut?
    »Was ist?«
    Er zuckte in der Dunkelheit zusammen. Seine Zwillingsschwester stand hinter ihm. Ihm wurde bewusst, dass er zitterte. »Michael? «
    Sie legte die Arme um seine Taille und schmiegte sich an ihn, drückte die Wange an seine Schulterblätter. Er zitterte weiter, doch selbst in seiner Angst war er sich ihrer kleinen Brüste in seinem Rücken bewusst. Er tadelte sich im Stillen dafür.
    Lust ist Teufelswerk, und der Teufel ist unermüdlich.
    »Vater streitet m-mit jemandem. Mit einer F-frau. Ich habe ihn s-sagen hören, dass sie unsere M-mutter wäre.«
    Er spürte, wie sie sich hinter ihm versteifte. »Was?«
    Er wollte sich umdrehen. Er wollte sich umdrehen und ihr sagen, es zu vergessen, und dass sie wieder in ihre Betten zurückgehen sollten und am nächsten Morgen erkennen würden, dass alles nur ein Traum gewesen sei. Doch er konnte sich nicht zu ihr umdrehen. Sie würde seine Lust bemerken.
    Der Teufel ist unermüdlich ...
    »Ich habe ihn gehört. Hör selbst.«
    Sie drängte sich weiter an ihn, während sie beide die Ohren spitzten. Er staunte über Satans unendliches Geschick. Er hatte entsetzliche Angst vor dem, was sie vielleicht zu hören bekamen; er war wütend wegen dem, was er bereits gehört hatte - und trotz allem vergaß er keinen Augenblick lang diese kleinen kecken Brüste in seinem Rücken, die Andeutung dessen, was vielleicht - nur ganz vielleicht - ihre Nippel waren. Luzifer konnte es einem wirklich verdammt schwer machen, da gab es nicht den geringsten Zweifel.
    »Ich verbiete es!«, hörten sie ihren Vater zornig flüstern.
    Schweigen.
    Die Stimme der Frau war gelassen, sicher, entschieden. Er vermochte sie immer noch nicht einzuordnen; das Flüstern machte es unmöglich für ihn.
    »Du kannst mir nicht verbieten, was Gott mir befohlen hat, Frank. Ich bin ihre Mutter, und Gott hat gesagt, dass es an der Zeit für sie ist, alles zu erfahren.«
    Michael wusste, dass etwas sehr, sehr falsch lief, als er seine Schwester ächzen hörte. Sie vergrub das Gesicht in seinem Rücken und stöhnte leise. Es war ein Laut nackten Entsetzens. Sie löste ihren Griff um ihn und trat zurück. Er drehte sich zu ihr um und sah, dass ihr Gesicht weiß war wie Milch. Ihre Augen waren so weit, dass es aussah, als könnten sie aus den Höhlen treten. Sie hatte eine Faust auf den Mund gepresst, um ihr Stöhnen zu ersticken. Mit zitterndem Finger deutete sie zur Tür, brachte aber kein zusammenhängendes Wort hervor.
    »Frances! Was ist denn?«
    Sie nahm die Faust vom Mund. Er war schockiert, als er sah, dass sie so fest auf die eigenen Finger gebissen hatte, dass sie bluteten.
    »Sie ...«, flüsterte Frances, noch immer voller Entsetzen. »Erkennst du ihre Stimme denn nicht?« Sie raufte sich die Haare. Ganze Büschel riss sie sich aus. »Erkennst du ihre Stimme nicht?«
    Michael packte ihre Handgelenke, um sie daran zu hindern, dass sie sich selbst noch mehr Schmerzen zufügte. Er hatte ihr Haar immer geliebt. Von ihren Augen abgesehen, waren es ihre Haare, die ihre Schönheit ausmachten.
    »Frances! Reiß dich zusammen!«
    Sie wand sich aus seinem Griff, setzte sich an die Wand, zog die Knie an die Brust und legte die Stirn darauf. Dann fing sie an zu schaukeln - vor und zurück, vor und zurück.
    »Geh nur und sieh selbst«, sagte sie leise. »Dann wirst du es wissen.«
    Er konnte sie kaum verstehen.
    Doch irgendetwas hatte sich in Bewegung gesetzt, an einem sehr dunklen, sehr tiefen Ort in seinem Innern, und stieg nun nach oben. Etwas, das Michael dicke Schweißperlen auf die Stirn trieb.
    Er warf einen letzten Blick auf seine Zwillingsschwester; dann öffnete er die Tür und bewegte sich durch den Flur in Richtung der Stimmen, die aus der Kapelle drangen. Er schwitzte immer heftiger, schritt schneller aus und rannte schließlich, weil dieses Ding, das aus der Dunkelheit emporstieg, sich zielstrebig näherte, und weil er dort sein wollte, ehe es an die Oberfläche brach, damit er dem Ding beweisen konnte, dass es Unrecht hatte und das alles nur ein Irrtum war. Ein Irrtum, Irrtum, Irrtum.
    Er platzte barfuß in die Kapelle, in

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