Das Boese in uns
so ist mit solchen Dingen.
Die Straße endete unvermittelt vor festgefahrener Erde. Die festgefahrene Erde wiederum endete bei den Bäumen. Wenn man ein Stück weiterging, gelangte man auf Gras, und von dort ging es weiter zur nächsten Straße mit Häusern. Das Wäldchen war eine Art letzte Bastion, und hier geschahen alle möglichen Dinge.
Hier hatten mehr Teenager ihre erste Zigarette geraucht, als man zählen konnte. Hier wurden erste Küsse getauscht, und natürlich gab es auch Gerüchte über erste Blowjobs und Ahnliches, was Dexter allerdings für ziemlich unwahrscheinlich hielt. Er war nicht superintelligent, er hatte lediglich ein bisschen mehr Verstand als seine Altersgenossen, und dieser Verstand sagte ihm, dass es eine bessere Umgebung als das Wäldchen brauchte - zumindest ein Auto -, wollte man ein Mädchen aus der Gegend dazu bringen, dass es einem am Schwanz lutschte.
Schmutzige Magazine wurden hier gelesen. Dexter hatte im Verlauf des letzten Jahres einige davon zu sehen bekommen - allerdings waren seine Reaktionen darauf eher zwiespältig gewesen und wollten irgendwie nicht zu denen seiner Freunde passen. Die anderen hatten gegrölt und Witze gerissen und in kichernder Überzeugung verbale Juwelen wie »haarige Muschi« und »Pelzburger« von sich gegeben - doch nichts von alledem ergab irgendeinen Sinn für Dexter, waren doch die Frauen auf den Bildern dort unten in der Regel haarlos. Außerdem, was hatte ein Burger mit alledem zu tun?
Dexter wusste durchaus, dass in dem Wäldchen auch Tränen vergossen wurden. Nette Nachbarschaft hin oder her, von Zeit zu Zeit wurden trotzdem Kinder geschlagen. Und es gab Missbrauch, auch wenn niemand groß darüber redete. Das Wäldchen war ein Zufluchtsort, ein Hafen, ein Ort für das Einfache, das Illegale, das Dunkle und das Traurige. Selbst mit seinen elf Jahren hatte Dexter bereits begriffen, dass das Wäldchen zu jenen Orten gehörte, die er in seinem späteren Leben niemals vergessen würde. Es würde eine lebhafte, machtvolle Erinnerung sein, die ihn begleitete, selbst wenn es nur im Geiste war.
Er ließ sich Zeit auf seinem Weg die Straße hinunter. Genoss den Sonnenschein und die Geräusche. Niemand war so verrückt und mähte schon um diese frühe Stunde seinen Rasen, doch zwei Leute wuschen ihre Wagen, was eine gute Idee war. Dexter steckte die Hände in die Hosentaschen und entdeckte einen weißen Kiesel auf der Straße, der sich zum Kicken eignete. Es würde ein prachtvoller Tag werden!
Der Bürgersteig endete, und Dexter betrat nackten Boden. Es gab zwei Arten von Boden in Texas. Da war der dunkle, trockene, klumpige Boden, auf dem Gras und alles Mögliche andere wuchsen. Und da war der hellbraune, körnige Boden, der die Sonne aufzusaugen schien und immer mit Kies und Geröll durchsetzt war.
Das hier war diese zweite Sorte.
Bis zu den ersten Bäumen war es nicht weit, und Dexter beschloss, den Morgen zu einem ausgiebigen Spaziergang zu nutzen. Er würde das Wäldchen durchqueren und zur Straße dahinter weitergehen, um von dort in einem weiten Bogen nach Hause zurückzukehren und eine weitere Stärkung zu sich zu nehmen, Wurst oder Erdnussbutter und Marmelade, was auch immer, und Limonade dazu. Und dann vielleicht eine Fahrt zum Comicladen oder ins Schwimmbad.
Warum auch nicht? Der Tag gehörte ihm.
Er beschleunigte seine Schritte, als er zu den Bäumen ging, beflügelt von den erfreulichen Aussichten.
In diesem Augenblick hörte er die Stimme.
»Küss ihn, du dämlicher Idiot.«
Dexter erkannte diese Stimme auf der Stelle. Jedes Kind in der Gegend hätte sie erkannt. Sie gehörte Mark Phillips, einem üblen Schläger und ganz allgemein bösartigen Zeitgenossen. Marks Geschichte war so wenig originell wie der Texas-Dreck unter Dexters Tennisschuhen. Er war schnell gewachsen, war groß und stark geworden und genoss seine Macht über andere.
Mark hatte verschiedene Schutzgeld-Erpressungen am Laufen, wie nicht anders zu erwarten: Essensgeld-Beteiligungen, Comicheft-Anteile, Taschengeld-Prozente. Zuwiderhandlung oder Weigerung wurde bestraft, und das war der Punkt, in dem Mark sich wirklich hervortat. Er war bereit, in Sachen Grausamkeit weiterzugehen als andere.
Der durchschnittliche Schläger prügelte einen windelweich, drehte einem an den Brustwarzen oder ließ einem seinen Speichel in den Mund tropfen, während er einen am Boden festhielt. Mark benutzte diese Methoden ebenfalls, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass damit
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