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Das Boese in uns

Das Boese in uns

Titel: Das Boese in uns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyen
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Auch er konnte wütend und selbstsüchtig sein, doch bis zu diesem Augenblick hatte er noch nie etwas wirklich Böses, Hässliches getan. Er hatte seine Wut noch nie an einem Schwächeren ausgelassen. Er hatte niemals ein wehrloses Tier gequält, und seine Lügen waren Notlügen und nicht der Rede wert. Irgendwie schien Mark das zu spüren. Deshalb wollte er es ändern, weil er wusste, dass es Dexter sehr viel stärker schmerzte, als wenn er Marks Käsefuß sauber leckte oder sich unter seinen eisernen Daumen wand.
    »Und wenn nicht?«
    »Leck  weiter, Trottel!«, schnauzte Mark den vor ihm knienden Jacob an; dann richtete er seinen Schlafzimmerblick und das Eidechsengrinsen wieder auf Dexter. »Ich bring dich zum Schreien, Schwuchtel-Bubi. Ich bring dich so zum Schreien, dass dir dein Spatzenhirn aus den Ohren rausfliegt.«
    Dexter kämpfte gegen seine Angst an. So viel Wahrheit gestand er sich selbst zu, wenn er sich in späteren Jahren an jenen Tag erinnerte. Er versuchte es. Doch Mut im Angesicht von Folter - das fand er an jenem Tag heraus - gab es vielleicht in Comics, nicht aber für elfjährige Jungen, denen ein anderer Ausweg angeboten wurde.
    Er stand auf, ging zu Mark und blickte hinunter auf Jacob, dessen Weinen inzwischen ein wenig verebbt war. Er leckte immer noch Marks Füße, die inzwischen tatsächlich ziemlich sauber aussahen.
    Saubere Arbeit, dachte Dexter am Rande der Hysterie.
    Jacob hielt einen Augenblick inne und sah zu Dexter auf. Er hatte tatsächlich eine wunderschöne Haut und die Augen eines Kindes. Groß und zutraulich. Aus seiner Nase lief Rotz, und auf seinen Wangen zeigten sich schmutzige, nasse Spuren vom Weinen.
    »Bevor du ihn lutschen lässt, will ich, dass du ihm eins in die Fresse haust«, sagte Mark, und seine Stimme klang schleppend und träge.
    Tu das nicht!, schrie es in Dexters Innerem. Das kannst du nicht ungeschehen machen, nie wieder!
    Dexter vermochte den Blick nicht von Jacobs Gesicht abzuwenden. Von diesem runden, dümmlichen, lieben Gesicht. Er spürte, wie irrationaler Zorn auf Jacob ihn erfasste. Wäre dieser Blödmann nicht, würde er, Dexter, sich jetzt nicht in dieser Lage befinden. Dann würde er nicht zu so etwas Schrecklichem gezwungen.
    Wärst du nicht so ein Idiot, Jacob! Wärst du doch nicht hier, und wäre ich nicht hier und würde spazieren gehen, weil es ein so wunderschöner Samstagmorgen ist!
    Wut erfasste Dexter. Später, viel später wurde ihm klar, dass es Frust und Angst und Scham waren, die zusammenkamen.
    Er holte mit der Hand aus. Sie hing in der Luft, zitternd.
    »Na los, Schlappschwanz«, stichelte Mark und weidete sich an der Qual seines Opfers.
    Dexter war in der Hölle.
    Er schloss die Augen, sodass er Jacobs Gesicht nicht mehr sehen konnte. Er hielt sich an seiner Wut fest, hielt sie aufrecht, so gut er konnte, und schlug zu.
     

Kapitel 23
    »Ich schlug diesen armen Jungen ins Gesicht, und dann ... dann machte ich, was Mark von mir verlangt hatte, und ich sah zu, wie Mark ihn hinterher bedrohte«, liest der Mann in dem Videoclip weiter. »Er sagte Jacob, er würde ihn töten, falls er quatschte, und hinterher würde er Jacobs Mom vögeln.«
    Das war das Ende der Samstage meiner Kindheit. Ich versuchte weiterhin, in den frühen Morgenstunden aufzuwachen, doch die Zeichentrickfilme waren seltsam blass geworden, und der Zimttoast schmeckte nicht mehr so gut wie vorher.
    Auch ich selbst fühlte mich nie wieder wie zuvor. Man hat Vorstellungen von sich selbst, insbesondere als Kind. Ideale. Man glaubt, man wäre mutig, wenn es darauf ankommt, und dass man in einer schwierigen Situation die richtige Entscheidung treffen würde. Mark raubte mir diese Illusion. Ich begriff, dass ich imstande war, einem anderen - noch dazu jemand Hilflosem -Schmerz zuzufügen, ihn sogar zu vergewaltigen, um meine eigene Haut zu retten. Ich war kein Held, wenn es darauf ankam, und was auch immer sonst geschehen wird, ich werde es nie vergessen.
    Ich habe Nana erzählt, was passiert war. Ich habe es ihr erzählt und geweint, und sie hat mich gehalten, lange Zeit, und schwieg, während sie über alles nachdachte. Am Ende sagte sie zu mir: Jeder Mensch hat ein kleines hässliches Geheimnis. Erinnere dich das nächste Mal an deines, bevor du andere verurteilst.
    Nana war der einzige Mensch, der davon wusste - bis zu diesem Jahr. Ich fand einen Priester, einen guten Menschen, der bereit war, meine Beichte anzuhören. Ich redete, er hörte zu, und dann, Wunder über

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