Das Böse kommt auf leisen Sohlen
gern und dankbar zu, mit einer warmen Freude im Herzen, denn dann redete meistens Dad. Mit Dad konnte er nicht oft reden, nicht in seiner Welt und nicht draußen, doch das war etwas anderes. In Dads Stimme lag etwas Beschwingtes, leicht wie eine Handbewegung in der Luft, wie ein weißer Vogel hoch droben am Himmel; das Ohr hörte gern zu, und die Gedanken folgten mühelos den Worten.
Das Seltsame an Dads Stimme war wohl, daß alles so wahr klang. Der Klang der Wahrheit inmitten einer Welt von Lügen fesselt einen Jungen immer. An vielen Abenden schlummerte Will so ein. Sein Verstand glich einer stehengebliebenen Uhr, lange bevor Dads halb singende Stimme verklang. Dads Stimme war eine Abendschule, in der tiefe, letzte Wahrheiten gelehrt wurden – Wahrheiten über das Leben.
So war es auch an diesem Abend. Mit geschlossenen Augen hielt Will sein Ohr an den Putz der Wand. Zuerst dröhnte Dads Stimme sanft wie eine Negertrommel im Urwald, viele Meilen entfernt. Mutter sang mit ihrem wasserhellen Sopran im Kirchenchor der Baptistengemeinde; sie sang ihre Antworten zurück. Will sah Dad auf dem Rücken liegen und zur Zimmerdecke hinaufreden.
"Will... komm mir immer so alt vor... Vater sollte mit seinem Sohn Ball spielen..."
"Nicht unbedingt", sagte die Frauenstimme freundlich.
"Du bist ein guter Mensch, ein guter Vater."
"... schlechte Zeit. Gott, ich war schon vierzig, als er zur Welt kam! Und du. Ist das Ihre Tochter? fragen die Leute. Gott, wenn man sich hinlegt, dann laufen einem die Gedanken fort."
Will hörte etwas knacken und knistern – Dad drehte sich um. Ein Streichholz wurde angerissen, die Pfeife angezündet. Der Wind rüttelte an den Fensterläden.
"... Mann mit Plakaten unterm Arm..."
"... Zirkus...", sagte die Stimme seiner Mutter. "So spät im Jahr?"
Will wollte sich abwenden, brachte es aber nicht fertig.
"Die schönste Frau der Welt", murmelte Dads Stimme.
Mutter lachte leise. "Du weißt genau, daß ich das nicht bin."
Nein, dachte Will. Das steht doch auf dem Plakat! Warum sagt Dad es ihr denn nicht?
Deshalb, gab er sich zur Antwort. Weil da etwas vor sich geht. Ja – irgendwas ging da vor sich...
Will sah das weiße Papier flatternd in den Bäumen verschwinden, mit den Worten: DIE SCHÖNSTE FRAU DER WELT. Seine Wangen glühten fiebrig. Er mußte denken: Jim, die Straße mit dem Theater, die Nackten im Fenster des Theaters, auf der Bühne, verrückt wie eine chinesische Oper, seltsam und total verrückt wie eine alte chinesische Oper, Judo, Jiu-Jitsu, indianische Geheimnisse, und nun Dads verträumte Stimme, traurig, trauriger, am traurigsten – zu viel, um das alles zu verstehen. Plötzlich bekam er Angst, weil Dad nicht über den Zettel reden wollte, den er gerade verbrannt hatte. Heimlich. Will starrte aus dem Fenster. Da! Wie Samen vom Löwenzahn tanzte weißes Papier durch die Luft.
"Nein", flüsterte er. "So spät kommt kein Zirkus mehr. Das ist unmöglich!" Er verkroch sich unter der Bettdecke, knipste die Taschenlampe an und schlug ein Buch auf. Das erste Bild, auf das sein Blick fiel, zeigte ein prähistorisches Reptil, das mit seinen weiten Schwingen durch eine Nacht flatterte, die seit Jahrmillionen vergessen und verloren war.
Teufel, dachte er. In der Eile haben wir die Bücher vertauscht. Das sind Jims Bücher, und er hat jetzt meine.
Aber es war doch ein recht hübsches Reptil.
Er sank schon in Schlummer, da glaubte er noch, unten seinen Vater rastlos auf und ab gehen zu hören. Die Haustür klappte zu. Dad ging also noch einmal zur Arbeit, spät, grundlos, mit seinen Besen, zurück zu seinen Büchern, in die Stadt, fort. Fort...
Und Mutter schlief friedlich. Sie wußte nicht, daß er noch einmal weggegangen war.
Neuntes Kapitel
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Niemand auf der ganzen Welt hatte einen Namen, der so glatt über die Zunge ging.
"Jim Nightshade. Ich!"
Jim war groß, wenn er stand, lang, wenn er im Bett lag. Die Muskeln umspielten seine Knochen, die Knochen steckten locker in den Muskeln. Die Bücher lagen geschlossen neben seiner rechten Hand.
Er wartete. Seine Augen waren Zwielichtdunkel, mit Schatten darunter. Die stammten, so sagte seine Mutter, noch von einer Krankheit, an der er mit drei Jahren beinahe gestorben wäre. Er erinnerte sich immer noch daran. Sein Haar hatte das dunkle Braun herbstlicher Kastanien, und die Adern an Stirn und Schläfen, am
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