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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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soll das ganze Gerede über weiße und schwarze Hüte?" fragte Jim grollend.
    Dad reichte Will seinen Jules Verne. "Nun, ich hab mich schon vor langer Zeit für die Farbe meines Hutes entschieden."
    "Und welchen hast du genommen?" fragte Jim.
    Dad war überrascht. Dann lachte er verlegen.
    "Wenn du so direkt fragst, machst du mich unsicher. Will, sag Mom, ich bin bald zu Hause. Und dann hinaus mit euch beiden!
    Miss Watriss!" rief er halblaut der Bibliothekarin hinter dem Tisch zu. "Da kommen Dinosaurier und geheimnisvolle Inseln!"
    Die Tür krachte zu.
    Draußen segelten Sterne am klaren Nachthimmel.
    "Hölle." Jim hob die Nase, schnupperte nach Norden, nach Süden. "Wo bleibt das Gewitter? Der verdammte Verkäufer hat's doch versprochen. Ich muß das einfach sehen, wenn der Blitz meine Dachrinne entlangsaust."
    Will ließ sich die Kleidung, die Haut, das Haar vom Wind zausen. Dann sagte er leise: "Kommt noch. Gegen Morgen."
    "Wer sagt das?"
    "Die Gänsehaut an meinen Armen."
    "Na, großartig!"
    Der Wind blies Jim davon.
    Wie ein Zwillingsfalke folgte ihm Will. 

Drittes Kapitel

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    Charles Halloway sah den beiden Jungen nach und verspürte den Wunsch, alles liegen und stehen zu lassen und mit ihnen zu laufen. Er wußte, was der Wind mit ihnen machte, nach welchen geheimnisvollen Orten er sie wehte, die nie wieder so geheimnisvoll sein würden. In seiner Seele stieg ein trauriger Schatten auf. Mit einer solchen Nacht muß man laufen, sonst holt einen die Traurigkeit ein. 
    Sieh dir das an, dachte er. Will rannte um des Rennens willen, Jim, weil etwas vor ihm lag. 
    Seltsamerweise rennen sie aber doch gemeinsam. 
    Woran liegt das? dachte er, während er durch die Bibliothek ging und Lichter ausschaltete, Lichter ausschaltete, Lichter ausschaltete. Steht es auf den Wirbeln unserer Daumen, unserer Finger geschrieben? Warum sind manche Menschen wie fiedelnde, kratzende Grashüpfer, Käfer mit vibrierenden Fühlern, von Kopf bis Fuß Ganglien, die sich ewig verknoten und wieder und wieder verknoten? Ihr Ofen brennt das ganze Leben lang lichterloh, von der Wiege an steht ihnen der Schweiß auf der Lippe, schimmern ihre Augen. Cäsars hagere und hungrige Freunde. Sie essen Dunkelheit, die da nur stehn und atmen. 
    Jim ist so – wespig wie eine Brennessel. 
    Und Will? Er ist der letzte Pfirsich, hoch droben auf dem sommerlichen Baum. Bei manchen Jungen muß man weinen, wenn sie nur vorübergehen. Ihnen geht's gut, sie sehen gut aus, sie sind brav. Natürlich pinkeln sie auch einmal von einer Brücke oder stehlen einen billigen Bleistiftanspitzer – das ist es nicht. Nur wenn man sie vorbeigehen sieht, da weiß man schon, wie's ihr Leben lang sein wird: Sie stecken Schläge, Wunden, Schmerzen, Stiche ein und fragen stets nach dem Warum. 
    Warum muß das so sein? Warum gerade sie? 
    Aber Jim sieht es kommen, er wartet darauf, daß es geschieht, er behält die Augen offen, leckt sich die Wunden, mit denen er gerechnet hat, fragt nie nach dem Warum – er weiß es. Er weiß immer, was ist. Lange vor ihm war einer, der wußte es auch, einer, der Wölfe als Schoßhunde und Löwen als Bettgenossen hielt. Nein, Jim weiß es nicht mit seinem Verstand, aber sein Leib weiß es. Und während sich Will noch die letzte Wunde verbindet, duckt sich Jim schon beiseite und entgeht dem entscheidenden Schlag. 
    Da gehen sie hin. Jim läuft langsamer, damit Will mitkommt, der rennt schneller, damit er bei Jim bleibt. Jim wirft zwei Fenster in einem Geisterhaus ein, weil Will dabei ist; Will wirft wenigstens eines ein, weil Jim ihn beobachtet. Mein Gott, wie doch jeder seine Finger im Lehm des anderen hat! Das ist Freundschaft: Jeder spielt den Töpfer, weil er wissen will, welche Form er dem anderen geben kann. 
    Jim, Will, dachte er, beides Fremde. Lauft nur. Ich hol euch schon ein, irgendwann einmal... 
    Die Tür der Bibliothek flog auf und schloß sich wieder. 
    Fünf Minuten später betrat er die Eckkneipe – ein Glas trank er jeden Abend, ein einziges nur – und hörte jemanden sagen: 
    "Den hab ich gelesen, als der Alkohol erfunden wurde, da glaubten die Italiener, sie hätten die große Sache gefunden, nach der man seit Jahrhunderten suchte. Das Lebenselixier! Hast du das nicht gewußt?" 
    "Nein." Der Barmann kehrte ihm den Rücken zu. 
    Der Mann fuhr fort: "Na klar, Branntwein. Neuntes, zehntes Jahrhundert. Sah wie Wasser aus. Brannte aber. Ich meine, es brannte

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