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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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nicht nur in der Kehle und im Magen, man konnte es auch richtig anzünden. So glaubten sie, es sei eine Mischung aus Feuer und Wasser. Feuerwasser, das Lebenselixier – mein Gott! Vielleicht hatten sie gar nicht so unrecht, wenn sie glaubten, das sei ein Allheilmittel, ein Wundertrank. – Noch einen?" 
    "Ich brauche keinen", sagte Halloway. "Aber in mir drin, da ist einer, der braucht ihn." 
    "Wer?" 
    Der Junge, der ich einmal war, dachte Halloway. Der Junge, der mit den wirbelnden Blättern den Weg entlangläuft. 
    Doch das konnte er nicht sagen. 
    So trank er mit geschlossenen Augen und lauschte in sich hinein, ob das Ding da drin sich nicht wieder regte und in den Gestrüpphaufen raschelte, die zum Verbrennen aufgehäuft waren, doch nie brannten. 

Viertes Kapitel

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    Will blieb stehen und betrachtete die Freitagabendstadt. 
    Es war seltsam – als der erste Schlag der neunten Stunde vom Glockenturm des Gerichtsgebäudes ertönte, brannten noch die Lichter, und in allen Geschäften herrschte emsiges Treiben. Aber als der neunte Schlag die Plomben in den Zähnen zum Zittern brachte, da hatten die Friseure ihren Kunden die weißen Tücher heruntergerissen, sie gepudert und hinausgeschickt. Die Kaffeemaschine hörte zu zischen auf. Das riesige Gelände des Warenhauses mit seinen zehn Milliarden Nichtigkeiten aus Metall, Glas und Papier zum Durchwühlen sank in tiefe Dunkelheit. Rolläden rumpelten, Türen schlugen zu, Schlüssel klapperten, Leute flohen, und ganze Horden von zerrissenen Zeitungsmäusen nagten an ihren Fersen. 
    Bum! Weg waren sie. 
    "Junge!" schrie Will. "Die Leute rennen, wie wenn der Sturm schon da wär!" 
    "Ist er auch!" schrie Jim zurück. "Wir sind da!" 
    Sie stürmten und polterten über eiserne Roste und stählerne Falltüren, an einem Dutzend finsterer Läden vorbei, einem Dutzend schwachbeleuchteter Läden, einem Dutzend Läden, die im Dunkel der Nacht starben. 
    Die Stadt war tot, als sie beim Zigarrenladen um die Ecke bogen und einen hölzernen Tscherokesen von allein in die Dunkelheit hinausgleiten sahen. 
    "He!" 
    Mr. Tetley, der Ladeninhaber, lugte dem Indianer über die Schulter. 
    "Erschrocken, Jungs?" 
    "Nein!" 
    Doch Will zitterte und fühlte, wie eiskalte Regenmassen gleich Ebbe und Flut über die Prärie rollten. Wenn die Blitze auf die Stadt herunterzuckten, dann wollte er sicher unter einem Dutzend warmer Decken in seinem Bett liegen. 
    "Mr. Tetley?" fragte Will leise. 
    Nun standen schon zwei hölzerne Indianer in der tabakbraunen Dunkelheit. Mr. Tetley war mitten in der Bewegung erstarrt und lauschte mit offenem Mund. 
    "Mr. Tetley?" 
    Er hörte etwas weit entfernt mit dem Wind rauschen, konnte aber nicht sagen, was es war. 
    Die Jungen traten zurück. 
    Er sah sie nicht. Er regte sich nicht. Er lauschte nur. 
    Sie ließen ihn stehen und rannten weg. 
    Drei Häuserblocks von der Bibliothek entfernt stießen die beiden auf einen dritten hölzernen Indianer. 
    Mr. Crosetti stand vor seinem Friseurgeschäft, den Türschlüssel in den zitternden Fingern. Er sah die beiden nicht kommen. Warum blieben sie stehen? 
    Eine Träne war schuld daran. Sie lief glitzernd über Mr. Crosettis linke Wange. Er atmete schwer. 
    "Crosetti, Sie sind ein Narr. Ob etwas geschieht, ob nichts geschieht, Sie heulen immer! Wie ein Baby!" 
    Mr. Crosetti holte bebend Atem und schnupperte. 
    "Riecht ihr es denn nicht?" 
    Jim und Will schnupperten. 
    "Lakritzen!" 
    "Teufel, nein! Zuckerwatte!" 
    "So was hab ich seit Jahren nicht mehr gerochen", sagte Mr. Crosetti. 
    Jim schnaubte. "Gibt's doch überall." 
    "Ja, aber wer bemerkt es? Wann? Jetzt spür ich's, und drum muß ich weinen. Warum? Weil ich mich daran erinnere, wie die kleinen Jungen vor langer Zeit das Zeug gegessen haben. Warum ist mir dieser Geruch in dreißig Jahren nie aufgefallen?" 
    "Zuviel zu tun, Mr. Crosetti", sagte Will. "Keine Zeit." 
    "Zeit, Zeit!" Mr. Crosetti wischte sich über die Augen. 
    "Woher kommt dieser Geruch? In der Stadt verkauft niemand Zuckerwatte. Die gibt's nur im Zirkus und auf der Kirmes." 
    "Donnerwetter, das stimmt!" sagte Will. 
    "So, Crosetti hat genug geheult." Der Friseur schneuzte sich und drehte sich um. Er schloß den Laden ab. Dabei betrachtete Will das Zeichen neben der Tür, die Spirale, die aus dem Nichts kam und sich ins Nichts hinaufwand. 
    An zahllosen Mittagen hatte Will hier gestanden und versucht, den

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