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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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könnte mir etwas anhaben? Halten Sie Naivität wirklich für Ihre beste Waffe? Da!" 
    Bevor Charles Halloway etwas tun konnte, trat Mr. Dark blitzschnell vor und nahm ihm die Bibel aus der Hand. Er hielt sie in beiden Händen fest. 
    "Gar nicht überrascht? Sehen Sie, ich berühre sie, halte sie, lese sogar darin!" 
    Mr. Dark blies den Rauch zwischen die Seiten und blätterte. 
    "Haben Sie erwartet, daß ich mich nun vor Ihren Augen in tausend zuckende Stückchen auflöse? Das sind leider nur Ammenmärchen. Das Leben – und damit könnte ich vielerlei faszinierende Dinge meinen – geht weiter, macht sich selbständig, zuckt wie wild, und ich bin unter vielen vielleicht einer der Wildesten. Ihr Herr Luther und seine literarische Darstellung von ziemlich langweiligen poetischen Überlieferungen ist mir kaum soviel Zeit und Mühe wert." 
    Damit schleuderte Mr. Dark die Bibel in einen Papierkorb und verschwendete keinen Blick mehr darauf. 
    "Ich höre Ihr Herz wie wild klopfen", sagte Mr. Dark. 
    "Meine Ohren sind nicht so hellhörig wie die der Hexe, aber manches vernehmen sie doch. Sie sehen mir über die Schulter. Die Jungen verstecken sich also irgendwo da in den Büchergefilden? Gut. Ich möchte sie nicht entkommen lassen. Ihr Gefasel würde ihnen zwar keiner glauben, es wäre sogar eine gute Reklame für meinen Zirkus, wenn die Leute bibbern und nachts nicht schlafen können. Dann kommen sie, uns in Augenschein zu nehmen, fahren sich nervös mit der Zunge über die Lippen und überlegen, ob sie etwas in unsere besonderen Versicherungen investieren sollen. Sie haben auch herumgeschnüffelt, und nicht nur aus reiner Neugier. Wie alt sind Sie?" 
    Charles Halloway preßte die Lippen aufeinander. 
    "Fünfzig?" schnurrte Mr. Dark. "Einundfünfzig? Zweiundfünfzig? Möchten Sie gern jünger sein?" 
    "Nein!" 
    "Deshalb brauchen Sie doch nicht zu schreien. Immer höflich, wenn ich bitten darf." Summend ging Mr. Dark durch den Raum und fuhr mit der Hand über die Bücherrücken, als wären es Jahre, die er zählte. "Wirklich, es ist schon angenehm, jung zu sein. Wieder vierzig, wär das nicht nett? Vierzig ist um zehn Jahre netter als fünfzig und dreißig um zwanzig Jahre, das macht unglaublich viel aus." 
    "Ich höre Ihnen nicht zu!" Charles Halloway schloß die Augen. 
    Mr. Dark legte den Kopf schief, zog an seiner Zigarette und betrachtete ihn. "Seltsam, daß Sie die Augen zumachen, wenn Sie nicht zuhören wollen. Wäre besser, wenn Sie die Hände an die Ohren drücken..." 
    Wills Vater preßte die Hände gegen die Ohren, aber die Stimme drang trotzdem durch. 
    "Ich will Ihnen mal was sagen." Mr. Darks Stimme klang beiläufig, und er beschrieb mit der Zigarette einen Kreis in der Luft. "Wenn Sie mir innerhalb von fünfzehn Sekunden helfen, schenke ich Ihnen Ihren vierzigsten Geburtstag. Zehn Sekunden, und Sie können den fünfunddreißigsten feiern. Ein herrliches Alter! Im Vergleich ist es geradezu eine Wohltat. Ich zähle nach meiner Uhr, und bei Gott, wenn Sie sich beeilen und gescheit sind, schneide ich vielleicht sogar dreißig Jahre von Ihrer Lebenszeit ab! Die Gelegenheit, wie auf den Plakaten steht. Denken Sie mal darüber nach! Noch einmal von vorn beginnen, alles herrlich und neu und wunderbar, alles können Sie noch einmal tun und denken und genießen. Ihre letzte Chance! Los geht's. Eins. Zwei. Drei. Vier..." 
    Charles Halloway wandte sich ab, halb geduckt lehnte er sich an die Regale und knirschte mit den Zähnen, um das Zählen nicht hören zu müssen. 
    "Sie verlieren immer mehr, alter Freund", sagte Mr. Dark. "Fünf. Verlust. Sechs. Großer Verlust. Sieben. Jetzt wird's wirklich brenzlig. Acht. Da geht's hin. Neun. Zehn. Herr im Himmel, Sie Narr! Elf. Halloway! Zwölf. Fast vorbei. Dreizehn. Aus! Vierzehn! Verloren! Fünfzehn! Aus, für immer dahin!" 
    Mr. Dark ließ den Arm mit der Uhr sinken. 
    Charles Halloway hatte sich keuchend abgewandt und das Gesicht im Duft alter Bücher vergraben. Er spürte vertraut und beruhigend das alte Leder. Es schmeckte nach dem Staub von Friedhöfen und nach gepreßten Blumen. 
    Mr. Dark stand schon in der Tür. Er war im Begriff zu gehen. 
    "Bleiben Sie, wo Sie sind!" befahl er. "Lauschen Sie Ihrem Herzen. Ich schicke Ihnen jemanden, der's in Ordnung bringt. Aber erst muß ich die Jungen finden." 
    Die Meute nie schlafender Kreaturen, reitend auf starkem Fleisch, schwang sich

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