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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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drin." 
    Im Wachsmuseum hatte Jim sich noch nicht geregt, nicht einmal geblinzelt. 
    "Jim!" Die Stimme drang durch die Spiegelgänge zu ihm. 
    Jim bewegte sich. Jim blinzelte. Ein Hinterausgang stand offen. Jim stolperte darauf zu. 
    "Ich hol dich, Jim!" 
    "Nein, Dad!" 
    Will hielt seinen Vater fest. Der stand schon an der ersten Biegung des Irrgartens. Der Schmerz schoß ihm wieder in die verletzte Hand, raste Nervenbahnen entlang und explodierte wie ein Feuerball in der Nähe seines Herzens. "Dad, geh nicht hinein!" Will hielt die gesunde Hand seines Vaters fest. 
    Hinter ihnen war die Bühne leer. Mr. Dark rannte – wohin? Irgendwohin. Unterdessen brach die Nacht herein, die Lichter löschten aus, aus, aus, die Nacht saugte sie ein, wurde dichter, winselte, pfiff, zischte, und die Menschenmenge wurde wie Laub, wenn sich ein gewaltiger Baum schüttelt, vom Mittelgang weggeweht, und Wills Vater stand da, vor den Gezeiten aus Glas, den Wogen, vor dem Fehdehandschuh, den das Entsetzen ihm hingeworfen hatte; er wußte, daß er hindurchschwimmen mußte, sich hindurchkämpfen und gegen die Austrocknung, gegen die Selbstauflösung ankämpfen, die hier seiner harrte. Er hatte genug gesehen und wußte Bescheid. Schließ die Augen, und du bist verloren. Laß sie offen, und du wirst so viel Verzweiflung, eine so unmenschliche Last des Leidens erleben, daß du dich vielleicht nicht einmal bis zur vierten Biegung schleppen kannst. 
    Doch Charles Halloway schüttelte Wills Hand ab. "Jim ist hier. Warte, Jim! Ich komme!" 
    Und Charles Halloway tat den nächsten Schritt in den Irrgarten. 
    Vor ihm verschwammen Scheiben von silbrigem Licht, tiefe Schatten, poliert, gespült, überwaschen mit den eigenen Spiegelbildern und denen anderer Seelen, die im Vorübergehen ihre Pein ins Glas eingebrannt hatten, die mit ihrem Narzißmus das kalte Eis geätzt hatten, die Ecken und Flächen von ihrer Angst anlaufen ließen. 
    "Jim!" 
    Er rannte. Will rannte. Dann blieben sie beide stehen. 
    Die Lichter hier drin verglommen, eins nach dem anderen, sie wurden matt, wechselten die Farbe, schimmerten jetzt blau, dann lila gleich dem Widerschein eines Sommergewitters, wechselten zu einem zuckenden Flackern wie von tausend uralten Kerzen im Wind. 
    Zwischen ihm und Jim, der auf seine Rettung wartete, baute sich eine Armee von einer Million Männer auf, mit verzerrten Lippen, bereiftem Haar, dünnem weißem Bart. 
    Die da, die alle – das bin ich, dachte er. 
    Dad, dachte Will dicht hinter ihm, fürchte dich nicht. 
    Das bist nur du. Die alle – sie sind nur mein Vater! 
    Doch ihm gefiel nicht, wie sie aussahen. Sie erschienen so alt, so furchtbar alt, und wurden immer älter, je weiter sie vordrangen. Sie gestikulierten wild, als Wills Vater abwehrend die Hände hob, die Enthüllung fernzuhalten, sich gegen dieses irre, bis zum Wahnsinn wiederholte Trugbild zu verteidigen. 
    Dad dachte er. Du bist es doch. 
    Aber es war mehr als das. 
    Und alle Lichter verlöschten. 
    Die beiden drängten sich dicht aneinander und standen reglos, voller Furcht, in der dumpfig-drohenden Stille. 

Neunundvierzigstes Kapitel  

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    Eine Hand grub wie ein Maulwurf im Dunkeln. 
    Wills Hand. 
    Sie leerte seine Taschen, tauchte tief hinein, ließ ab, grub weiter. Denn er wußte, daß diese Million Männer im Dunkeln marschieren, schleichen, angreifen, anspringen, Dad mit ihrer Wirklichkeit zerschmettern konnten. 
    Eingeschlossen in der Nacht, mit nur vier Sekunden Zeit, an sie zu denken, konnten sie Dad alles antun. Wenn Will sich nicht beeilte, konnten diese Legionen künftiger Zeit, all diese Alarmzeichen des Kommenden, gemein und brutal und so wirklich, daß man es nicht abstreiten konnte – morgen, übermorgen, irgendwann wird Dad so aussehen –, wenn er sich nicht beeilte, dann würde diese wilde Jagd der Jahre über Dad hinwegfegen! 
    Rasch, rasch! 
    Wer besitzt mehr Taschen als ein Zauberer? 
    Ein Junge. 
    Wer hat mehr in seinen Taschen als ein Zauberer? 
    Ein Junge. 
    Will zog die Streichholzschachtel hervor. 
    "Herr im Himmel, Dad – hier!" 
    Er riß das Streichholz an. 
    Die wilde Jagd war schon ganz nahe! 
    Da kamen sie angestürmt. Dann wurden sie vom Licht gebannt, rissen die Augen genauso auf wie Dad, und der Mund blieb ihnen vor Staunen über die eigenen uralten Tricks und Maskeraden offenstehen. Halt! befahl ihnen das Streichholz. Und links wie rechts kamen

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