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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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zuvor. 
    Mr. Elektriko, dachte Will. Sie wollen ihn wegschaffen. Zum Karussell bringen, ihn ermorden oder heilen! Und wenn sie ihn retten – mein Gott –, dann stehen er mit seinem Zorn und der Illustrierte Mann gegen Dad und mich! Und Jim? Ja, wo steckte Jim nur? Heute hier, morgen dort – und heute nacht? Auf wessen Seite würde er nachher wohl stehen? Auf unserer! Jim, guter alter Freund! Natürlich auf unserer Seite. Doch Will zitterte. Dauern Freundschaften denn wirklich ewig? Kann man sie in der Ewigkeit als schöne runde Summe mit einbringen? 
    Will sah nach links. 
    Dort stand der Zwerg, halb eingehüllt von der Zeltklappe, regungslos. 
    "Sieh mal, Dad!" rief Will leise. "Und dort drüben – das Skelett!" Noch ein Stück weiter stand der Lange, der Mann aus Marmorknochen und ägyptischem Papyrus als Haut. Er stand da wie ein abgestorbener Baum. 
    "Die Mißgeburten – warum tun sie uns nichts?" 
    "Angst." 
    "Angst – vor uns?" 
    Wills Vater duckte sich und spähte vorsichtig um einen leeren Käfig. 
    "Sie sind ohnehin schwer mitgenommen. Sie haben gesehen, was mit der Hexe passiert ist. Nur so ist das zu erklären." 
    Sie verharrten da wie Pfähle, wie Zeltpfosten, die man in den Rasen geschlagen hat, verborgen im Schatten, abwartend. Worauf warteten sie? Will schluckte hart. 
    Vielleicht wollten sie sich gar nicht verstecken, vielleicht standen sie nur sprungbereit und warteten auf den Kampf, der kommen mußte. Im richtigen Augenblick würde Mr. Dark einen Befehl rufen – dann brauchten sie nur von allen Seiten anzugreifen. Aber es war nicht der rechte Augenblick. Mr. Dark hatte anderes zu tun. Wenn er damit fertig war, dann würde er den Befehl geben. 
    Und? Und deshalb müssen wir dafür sorgen, daß er nicht mehr schreien kann, dachte Will. 
    Wills Schuhe glitten übers Gras. 
    Wills Vater schlich weiter. 
    Die Mißgeburten starrten sie, wenn sie vorüberkamen, aus glasigen Augen an. 
    Der Ton der Zirkusorgel veränderte sich. Ihre Musik klang traurig, süß durch die Zeltreihen, um eine Biegung im Fluß der Nacht. 
    Sie läuft vorwärts, dachte Will. Richtig. Vorhin, da lief sie rückwärts. Aber nun hat sie angehalten und neu begonnen, und jetzt läuft die Musik vorwärts. Was hat Mr. Dark vor? 
    "Jim!" platzte Will heraus. 
    "Psst!" warnte sein Vater. 
    Doch der Name war ihm unbewußt über die Lippen gekommen, weil er hörte, wie die Zirkusorgel die vor ihnen liegenden goldenen Jahre summte und Jim erspürte, irgendwo, isoliert, allein, angezogen von angenehmen Kräften, beschwingt von den Tönen des Sonnenaufgangs. Weil er den Gedanken spürte: Wie könnte es sein, wenn man sechzehn, siebzehn, achtzehn Jahre alt ist, neunzehn gar – oder – fast unglaublich! – zwanzig. In den Orgelpfeifen aus Messing pfiff der Wind der Zeit ein fröhliches Sommerlied voller Versprechungen, und selbst Will rannte nun auf die Musik zu, die vor ihm aufwuchs wie ein Pfirsichbaum voller sommerreifer, süßer Früchte... 
    Nein, dachte er. 
    Er zwang seine Füße, sich im Takt seiner Ängste zu bewegen, nach seiner eigenen Pfeife zu tanzen, zu einer gesummten Melodie, die in seiner Kehle steckte und die Lungen nicht verließ, die in seinem Schädel dröhnte und die Zirkusorgel übertönte. 
    "Da", sagte Dad leise. 
    Vor sich sahen sie zwischen den Zelten einen grotesken Zug vorübermarschieren. Wie ein schwarzer Sultan in seiner Sänfte wurde eine halb vertraute Gestalt von höchst unterschiedlichen Formen und Schatten der Dunkelheit auf den Schultern vorbeigetragen. 
    Dad stieß einen Schrei aus, da hielt der Zug kurz inne und setzte sich dann rasch in Bewegung. 
    "Mr. Elektriko!" sagte Will. 
    Sie bringen ihn zum Karussell! 
    Der Zug verschwand. 
    Ein Zelt lag zwischen ihnen. 
    "Hier herum!" Will rannte los und zog seinen Vater hinter sich her. 
    Süß spielte die Zirkusorgel. Sie zog Jim an, zwang ihn... 
    Und wenn der Zug mit Mr. Elektriko ankommt? 
    Dann würde die Musik rückwärts ablaufen, das Karussell würde sich rückwärts in Bewegung setzen, um seine Haut abzustreifen, seine Jahre ihm zurückzugeben! 
    Will stolperte und fiel hin. Sein Vater zog ihn hoch. 
    Und dann... 
    Ein menschliches Bellen, Jiffen, Heulen, Winseln erhob sich, als seien alle hingefallen. Eine große Menschenmenge stimmte mit langgezogenem Stöhnen, Ächzen, Keuchen, Seufzen aus verkrüppelten Kehlen in den Chor ein. 
    "Jim! Sie haben

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