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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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die Reihen zum Stehen, sprungbereit, drohend, begierig wartend, bis das Streichholz verlöschte. Wenn sie dann zum nächsten Sprung losgelassen wurden, mußten sie diesen alten, noch älteren, schrecklich alten, uralten Mann in einem einzigen Augenblick im Meer seines Schicksals ertrinken lassen. 
    "Nein!" sagte Charles Halloway. 
    Nein. Eine Million toter Lippen bewegten sich. 
    Will hielt das Streichholz hoch. In den Spiegeln machten es ihm die vielfachen, affenartigen Jungen nach. 
    Sie überreichten einen Blütenstrauß von blaugelben Flammen. 
    "Nein!" 
    Jedes Stück Glas schleuderte Lichtspeere, die unsichtbar eindrangen, durchbohrten, Herz, Seele, Lungen trafen, Venen gefrieren ließen, Nerven zerschnitten und Will benutzten, das Herz zu zerstören, zu lähmen, wie einen Fußball zu treten. Betäubt sank der alte Mann auf die Knie. Seine gelehrigen Ebenbilder taten es ihm nach, diese Versammlung entsetzter Egos, eine Woche, einen Monat, zwei Jahre, zwanzig, fünfzig, siebzig, neunzig Jahre in der Zukunft! Jede Sekunde, Minute, Stunde – längst nach Mitternacht – dieses möglichen Hinüberschwebens in den Wahnsinn verfiel er, wurde grauer, fahler, da die Spiegel ihn hin und her schleuderten, ausbluten ließen, austrockneten, aussaugten und dann zu totem Staub zu zerblasen und seine Asche zu zerstreuen drohten. 
    "Nein!" 
    Charles Halloway schlug seinem Sohn das Streichholz aus der Hand. 
    "Nicht, Dad!" 
    Denn im erneut hereingebrochenen Dunkel taumelte die Herde erstarrter alter Männer wieder mit hämmernden Herzen voran. 
    "Dad, wir müssen doch sehen!" 
    Er riß sein zweites, sein letztes Streichholz, an. 
    Im aufblitzenden Licht sah er seinen Vater zusammengesunken, die Augen fest zugepreßt, die Fäuste geballt; er sah all die anderen Männer, die rutschen, kriechen, sich auf die Knie erheben mußten, sobald dieses letzte Licht ausgebrannt war. Will packte seinen Vater bei der Schulter und schüttelte ihn. 
    "Dad, lieber Dad! Mir ist es gleich, wie alt du bist, es wird mir immer gleich sein! Mir ist überhaupt alles gleich! Ach, Dad!" schrie er und weinte. "Ich hab dich so lieb." 
    Da schlug Charles Halloway die Augen auf. Er sah sich und die anderen seinesgleichen und seinen Sohn, der hinter ihm mit zitternder Hand das Streichholz hielt, während seine Tränen ihm über das Gesicht liefen. Und plötzlich sah er wieder das Bild der Hexe vor sich, die Bibliothek fiel ihm ein, erst die Niederlage, dann der Sieg. Die Bilder vermischten sich mit dem Krach eines Schusses, dem Flug der markierten Kugel, dem Drängen der fliehenden Menge. 
    Nur eine Sekunde noch starrte er seine Ebenbilder, seinen Sohn an, dann löste sich ein leiser Laut von seinen Lippen. Ein lauterer Ton folgte. 
    Und dann endlich gab er dem Irrgarten, den Spiegeln, der Zeit vor und um und über und hinter und unter ihm die einzig mögliche Antwort. 
    Er öffnete weit den Mund zu einem lauten, befreienden Gelächter. Wäre die Hexe noch am Leben gewesen, so hätte sie diesen Ton wiedererkannt; sie wäre noch einmal daran gestorben. 

Fünfzigstes Kapitel 

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    Jim Nightshade hatte den Irrgarten durch den Hinterausgang verlassen, um ziellos über die Festwiese zu rennen. Er hielt inne. 
    Der Illustrierte Mann lief irgendwo zwischen den schwarzen Zelten dahin. Er hielt inne. 
    Der Zwerg erstarrte. 
    Das Skelett drehte sich um. 
    Alle hatten es gehört. 
    Nicht den Laut, der von Charles Halloways Lippen kam, nein. Erst war es nur ein Spiegel, dann ein zweiter, dann kam eine Pause, dann ein dritter Spiegel, ein vierter und dann noch einer und noch einer und noch einer; sie folgten aufeinander wie Dominosteine. Erst bildeten sich feine Spinnweben auf ihren blank starrenden Oberflächen, dann gingen sie mit feinem Klirren und hartem Knall zu Bruch. 
    In der einen Minute gab es noch diese unglaubliche Jakobsleiter aus Glas, die sich in die Unendlichkeit entfaltete und doch Bilder, wie trockene Blüten im Buche des Lichts gepreßt, enthielt – in der nächsten Minute war alles wie unter dem Aufprall eines stürzenden Meteors zerborsten. 
    Der Illustrierte Mann blieb stehen, lauschte, tastete nach den eigenen Augen, die bei dem Geräusch fast ebenfalls sprangen und zerklirrten. 
    Es war, als hätte Charles Halloway, wieder in einen Chorknaben zurückverwandelt, in einer eigenartigen Unterweltskirche das schönste hohe C seines Lebens voller

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