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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Lebensfreude gesungen. Zuerst ließ es das Mottensilber von der Rückseite der Spiegel platzen, dann schüttelte es die Gesichter von den Glastafeln, dann ließ es das Glas selbst bersten. Ein Dutzend, hundert, tausend Spiegel mit den gealterten Ebenbildern Charles Halloways sanken im lieblichen Mondlicht auf Schnee und gekräuseltem Wasser zu Boden. 
    Das alles kam von dem Laut aus seinen Lungen, den er durch Kehle und Lippen freisetzte. 
    Das alles, weil er sich schließlich mit allem abfand, mit dem Zirkus, mit den Bergen dahinter, den Menschen in den Bergen, Jim, Will und vor allen Dingen mit sich selbst und seinem Leben. Er nahm alles hin, wie es war, warf zum zweiten Mal seinen Kopf in den Nacken und ließ seine Zufriedenheit vernehmen. 
    Und siehe da – wie Jerichos Mauern unter den Posaunenstößen, so ließ das Glas vor dem klingenden Ton seine Geister frei, und Charles Halloway konnte befreit aufjubeln. 
    Er nahm die Hand vom Gesicht. Erfrischender Sternenschimmer und die matten Lichter des Zirkus drangen ein und machten ihn frei. Die toten Gesichter aus den Spiegeln waren verschwunden, untergegangen in einem klingenden Erdbeben, begraben unter den klirrenden Splittern zu seinen Füßen. "Licht! Licht!" 
    Noch mehr Wärme klang aus einer fernen Stimme. 
    Der Illustrierte Mann erwachte aus seiner Erstarrung und tauchte zwischen den Zelten unter. Die Menge hatte sich verlaufen. 
    "Dad, was hast du nur getan?" 
    Das Streichholz verbrannte Wills Finger. Er ließ es fallen. Doch nun reichte der matte Lichtschein, um Dad zu erkennen, wie er sich durch die Trümmer schob und mit den Schuhen das zersplitterte Spiegelglas aufwühlte, wie er sich den Weg zurück durch die Leere suchte, die einmal das Spiegelkabinett gewesen war. Aber den Irrgarten gab es nicht mehr. 
    "Jim?" 
    Eine Tür stand offen. Das bleiche, matter werdende Licht des Zirkus fiel herein und ließ sie die Wachsfiguren von Mördern und Ermordeten erkennen. 
    Jim saß nicht zwischen ihnen. 
    "Jim!" 
    Sie starrten die offene Tür an, durch die Jim hinausgeflohen war, um sich draußen in der schwirrenden Nacht zwischen Zeltbahnen zu verirren. 
    Die letzte Glühbirne ging aus. 
    "Jetzt werden wir ihn nie finden", sagte Will. 
    "Doch!" antwortete sein Vater aus dem Dunkel. "Wir werden ihn finden." 
    Wo, dachte Will und blieb stehen. 
    Weit unten, am Ende des Mittelganges, dampfte das Karussell, die Zirkusorgel quälte sich Töne ab. 
    Dort, dachte Will. Wenn wir Jim irgendwo finden, dann sicher dort bei der Musik. Der komische alte Jim hat sicher seine Freikarte noch in der Tasche, möchte ich wetten! "Verdammter Jim, verdammter, verdammter!" schrie er und dachte dann: Nein! Tu's nicht, vielleicht ist er schon verdammt, oder doch nahe dran. Aber wie finden wir ihn im Dunkel, ohne Licht, ohne Streichhölzer, zu zweit gegen alle anderen auf ihrem eigenen Gelände. 
    "Wie...", sagte Will laut. 
    Doch sein Vater sagte nur sehr leise: "Da!" Es klang dankbar. 
    Will trat in die Tür. Sie schimmerte jetzt heller. 
    Der Mond! Gott sei Dank! 
    Er ging über den Hügeln auf. 
    "Die Polizei?" 
    "Keine Zeit. Auf die nächsten paar Minuten kommt es an. Um drei Leute müssen wir uns kümmern..." 
    "Die Mißgeburten!" 
    "Drei Menschen, Will. Erstens Jim. Zweitens Mr. Cooger, der auf seinem elektrischen Stuhl brät. Drittens Mr. Dark und die in seine Haut eingeätzten Seelen. Den einen müssen wir retten, die beiden anderen zur Hölle schicken, erledigen. Ich denke, dann werden die Mißgeburten auch verschwinden. Bist du bereit, Will?" 
    Will betrachtete die Tür, die Zelte, die Finsternis, den Himmel, den ein neuer, matter Lichtschein erhellte. 
    "Gott segne den Mond." 
    Sie hielten sich fest an den Händen und traten aus der Tür. 
    Wie zu ihrer Begrüßung ließ der Wind die schwarzen Zeltbahnen auf und nieder flattern wie die todbringenden Schwingen eines gewaltigen prähistorischen Flugdrachen. 

Einundfünfzigstes Kapitel 

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    Sie liefen erst im Uringestank der Schatten, dann im sauberen eisigen Geruch des Mondlichts dahin. 
    Die Zirkusorgel schnaufte, prustete, trillerte. 
    Die Musik, überlegte Will. Läuft sie nun vorwärts oder rückwärts? 
    "Wo geht's weiter?" flüsterte Dad. 
    "Hier durch!" Will streckte die Hand aus. 
    Hundert Schritte weiter, am Fuß eines aufragenden Zelts, sprühten blaue Funken hoch und sanken wieder herab, dann wurde es dunkel wie

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