Das böse Spiel der Natalie Hargrove (German Edition)
nicht in die Kirche gehen … Ich seh ja aus wie Grandma, wenn sie einen im Tee hat …«
Mike musste darüber so lachen, dass er Justin kaum noch halten konnte. Ich dagegen behielt J. B.s netzbestrumpfte Knöchel fest im Griff und hatte plötzlich einen überaus brillanten Einfall.
Er war immer noch fast im Koma und schien sich gleichzeitig Sorgen darüber zu machen, dass sein Ruf durch sein nuttiges Kostüm gefährdet sein könnte.
Und wessen Schuld war das wohl?
Ich betrachtete den Lippenstift, die Federboa und den einen hochhackigen Lacklederschuh, den er noch anhatte. Und plötzlich sah ich das alles in einem anderen Licht. Im Sonnenlicht. Sonntagmorgens im erzchristlichen Teil des Landes ging die Sonne ziemlich früh auf. Und jeder, der etwas auf sich hielt, ging zur Kirche – einschließlich gewisser Wahlbeobachter der Palmetto High. Tracy hatte ja gesagt, dass einige J. B.s Eignung für den Prinzentitel bereits bezweifelten. Und Baxter hatte gesagt, dass J. B. es darauf anlegte, Prügel zu beziehen, wenn er so kostümiert auf der Party auftauchte.
»Mike«, sagte ich langsam und ruhig, »wäre es nicht wahnsinnig lustig, wenn wir ihn hierlassen würden?«
»Äh, nein, nicht wirklich«, erwiderte Mike, nachdem er endlich aufgehört hatte zu lachen.
»Denk doch mal darüber nach.« Ich setzte mich neben ihn auf den Boden und fuhr ihm mit den Fingern durch die Haare. »Der perfekte kleine Justin Balmer, als Transvestit entlarvt?«
Mike war noch nicht überzeugt.
»Komm schon«, lockte ich ihn. »Wir haben so lange niemandem mehr einen Streich gespielt. Wahrscheinlich wacht er ja sowieso auf, bevor der Pfarrer morgen früh kommt. Er wird allerdings in diesen Sachen nach Hause gehen müssen …«
»Aber …« Mike wollte protestieren, doch ich küsste ihn auf die Wange.
»Na ja, er wohnt draußen in West-Palmetto«, gab er zu bedenken.
»Genau«, sagte ich und spürte, wie mein Plan an Fahrt gewann. »Willst du wirklich noch so weit fahren, obwohl du selbst getrunken hast?«
Mike zuckte mit den Achseln und lächelte mich schwach an. Jetzt hatte ich ihn, das wusste ich.
»Ja, wahrscheinlich ist das ganz lustig. Aber nur, wenn wir ihm das Wasser dalassen und er unsere Telefonnummern im Handy eingespeichert hat.«
Wir standen auf und gingen zum Wagen.
»Aber klar doch«, versicherte ich ihm. »Wir wollen es ja schließlich nicht zu weit treiben.«
Ich sah mich um, ob J. B. immer noch nichts mitbekam. Und so war es. Ich öffnete die Tür des SUV , nahm die Wasserflasche vom Rücksitz und holte meinen Lippenstift aus der Tasche. Er hatte keine ganz so auffällige Farbe wie der von J. B., aber ich wollte sein Make-up trotzdem noch etwas auffrischen, bevor wir ihn seinem Schicksal überließen.
Mike saß bereits auf dem Fahrersitz und ließ den Motor an. »Baby, allein hier draußen bei der Kirche und das auch noch betrunken …«, sagte er. »Das ist gruselig. Beeil dich, ja? Ich wende schon mal.«
»Klar«, nickte ich, ganz die besorgte Freundin. »Ich bin sofort wieder da.«
Ich wollte schon die Tür zuschlagen, als mir etwas ins Auge fiel, eine Rolle weißes Tau, mit dem die Kings ihre Boote in der Marina festmachten. Hmm, warum sollte man damit nicht auch andere Dinge festmachen können. Mike hatte zwar nur zugestimmt, weil er davon ausging, dass J. B. aufwachen und nach Hause taumeln würde, bevor die Glocken zu läuten begannen, aber es war wahrscheinlich lustiger, wenn der Junge noch ein kleines Handicap hatte. Jeder bekommt, was er verdient, heißt es, und es war höchste Zeit, dass J. B. einmal spürte, wie es war, machtlos zu sein. Ich steckte das Seil in die Tasche und ging zum Rasen zurück.
J. B. kauerte immer noch da, wo wir ihn abgesetzt hatten, den Kopf an den Fuß einer Palme gelehnt. Ich hatte schon immer gefunden, dass die Krippe unter den aus Südflorida importierten Palmen einfach lächerlich aussah. Und jetzt würde ich dem Kirchengelände eine weitere geschmacklose Attraktivität hinzufügen.
Ich vergewisserte mich, dass Mike tatsächlich den Wagen gewendet hatte, und sah die Rücklichter in der Entfernung leuchten. Gut. Es war zu befürchten, dass er mit der Fesselungsaktion nicht ganz einverstanden war. Schon komisch, wäre J. B. wach gewesen, hätte sie ihm wahrscheinlich gefallen. Als ich ihm das Seil um die Handgelenke wand – was mit den Handschuhen gar nicht so einfach war –, öffnete er erneut die Augen.
Ein leises Lächeln spielte um seine Lippen.
»Was hast du
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