Das böse Spiel der Natalie Hargrove (German Edition)
vergessen hatte, ins Bett zu stecken. Sein Oberkörper sackte in sich zusammen.
»Die ganze Sache macht mich wahnsinnig. Ich hab seit vier Tagen nicht mehr geschlafen. Sie werden herausfinden, was wir getan haben.«
»Nein, werden sie nicht«, sagte ich und wandte mich ab, damit ich nicht sehen musste, wie klein er in diesem Augenblick wirkte.
»Ich hab ihm meine Wasserflasche dagelassen …«
Ich schüttelte den Kopf. »Mike, jeder aus deiner Klasse hat genau die gleiche Trinkflasche wie du. Und auch die Bambis finden diese Flaschen total cool. Das ist überhaupt kein Beweis.«
»Aber irgendjemand hat uns bestimmt gesehen, wie wir mit dem sowieso schon halbtoten Balmer die Party verlassen haben. Wie sieht das denn aus, wenn wir versuchen, so etwas zu verschweigen, bis jemand dahinterkommt? Lass es uns sagen. Wir sagen, dass wir nicht wollten, dass die Sache so …«
»Nein!« Ich sprang auf und begann, hin und her zu laufen. In einer Wand des Mausoleums befand sich eine quadratische Fensternische, durch die ich die Beerdigungsgäste zum Parkplatz gehen sehen konnte. Sie würden alle in ihre friedlichen kleinen Häuser zurückkehren und die Telefonleitungen mit ihrem Tratsch blockieren. Aber wenn wir alles sagten, wohin würde ich dann zurückkehren?
In meine alte, ausweglose Trailerpark-Welt? Zum Mist meines alten Lebens? Ich konnte den Geruch nach verfaultem Fisch förmlich riechen. Mädchen wie ich bekamen keine zweite Chance. So war das. Meine Lippen bebten, und ich spürte, wie meine Schultern zu zucken begannen.
Seufzend streckte Mike die Hand nach mir aus. »Ich will genauso wenig ins Gefängnis wie du.«
Wer hatte denn etwas von Gefängnis gesagt? Plötzlich erkannte ich, dass Mike keine Ahnung hatte, was ich dachte. Ich legte meine Hand in seine. »Dann bringen wir das in Ordnung, Mike. Wir schaffen das schon.«
Er sah mich an. »Wie denn?«
»Wir beginnen an der Quelle aller Informationen in Palmetto«, erklärte ich und zwang mein Gehirn, mit meiner Zunge Schritt zu halten. »In der Gerüchteküche. Was haben wir bislang gehört?«
Mike zuckte mit den Achseln und atmete aus. Er hatte sich nie allzu sehr für Gerüchte interessiert.
»Irgendetwas über die Aufnahmen, die Baxter auf der Party gemacht hat.«
Ich schlug mir mit der Hand gegen die Stirn. »Du bist ein Genie!«, sagte ich und stellte überrascht fest, dass ich trotz der ungeheuren Anspannung lachen musste. »Unser Verdächtiger ist also bereits gefunden. Er wird übrigens immer noch vermisst.«
»Moment mal … soll das etwa heißen …?« Mike schüttelte ungläubig den Kopf. »Willst du etwa Baxter die Schuld geben?«
»Warum nicht?« Ich versuchte, lässig zu klingen, obwohl ich hörte, wie mir die Stimme versagte. »Man muss ihnen nur ein paar Hinweise geben.«
»Augenblick!« Mike ließ meine Hand fallen und rieb sich die Stirn, wie er es sonst tat, wenn er für einen wichtigen Test lernte. »Zuerst bringen wir aus Versehen jemanden um. Und dann willst du jemand anderem die Schuld dafür in die Schuhe schieben?«
»Nein, nein, nein«, widersprach ich, stellte mich zwischen seine Beine und begann, seine Schläfen zu massieren. »Wir würden es nicht wirklich jemandem in die Schuhe schieben. Du hast Baxter an dem Abend gesehen. Er hat nach allen Seiten hin Drogen verteilt. Wir beide haben gehört, wie er gesagt hat, dass sich jemand um J. B. ›kümmern‹ sollte … und zwanzig Minuten später hat er ihn vom Balkon aus zu einer zweiten Runde Bierschlucken angefeuert.«
»Ich weiß nicht.« Mike verzog das Gesicht. »Baxter ist bestimmt kein Heiliger, aber ein Mörder ist er auch nicht.«
»Wir müssen ihn ja auch nicht dazu machen. Wir müssen nur unsere Namen da raushalten, indem wir die Aufmerksamkeit auf jemand anderen lenken. Hey«, sagte ich und senkte die Stirn, sodass sie Mikes berührte, »wir können J. B. nicht wieder lebendig machen.«
Da war es wieder, dieses eisige Gefühl, das mich jedes Mal überkam, wenn ich wirklich über J. B.s Tod nachdachte. Diesmal war es so stark, dass ich vor Schmerz beinahe aufgeschrien hätte. Doch dann sah ich, wie Mike die Stirn runzelte, und erkannte, dass sich das Fenster, in dem ich ihn überreden konnte, schnell schloss. Ich schlang die Arme um meine Brust, um die Kälte zu bekämpfen, und redete weiter.
»Alles, was wir tun können, ist, unseren Ruf als Botschafter der Schule zu wahren in einer Zeit, in der die Palmetto uns braucht«, meinte ich
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