Das böse Spiel der Natalie Hargrove (German Edition)
so glamourös wie die aus meinem Traum, was für mich eine ungeheure Erleichterung war. Es war dieselbe alte bemalte Holzkutsche, die es seit Beginn der Palmetto-Krönungen schon immer gewesen war. Auch der Fahrer sah ganz normal aus, er trug verblichene Jeans und einen dunklen Blazer. Doch als er die Tür aufmachte und mir die Hand reichte, um mir hineinzuhelfen, legte er die Stirn in tiefe Sorgenfalten.
»Es tut mir leid, Miss, aber ich soll Ihnen etwas ausrichten.« Er nestelte an den Knöpfen seines Blazers. »Er kommt nicht.«
Was? Ich steckte den Kopf in das mit rotem Samt ausgeschlagene Innere der Kutsche. Sie war leer.
Ich blickte zurück zu den Mädchen, die sich fröhlich vor dem Fenster drängten. Ich hatte keine Wahl, also winkte ich ihnen zu, als sei alles in Ordnung.
»Fahren Sie einfach los«, zischte ich dem Kutscher halblaut zu.
Es war viel zu sonnig hier draußen auf dem Golfplatz, aber ich schaffte es nicht, die Sonnenblenden an den Fenstern der Kutsche herunterzulassen. Als wir am vierzehnten Loch waren, hatte ich mir alle Fingernägel abgekaut und war nass geschwitzt. Aus reiner Dummheit, die mir zeigte, wie fertig ich war, hatte ich meine Kaugummis vergessen. Jetzt konnte ich mir mit nichts darüber hinweghelfen, dass Mike mich sitzen gelassen hatte. Wie konnte er nur? Vor der gesamten Schule und unseren Familien? Ich würde ihn um …
Es klopfte an die Kutschentür. Als ich meinen Kopf zum Fenster wandte, sah ich ihn. Mike rannte neben der Kutsche her.
»Halten Sie die Kutsche an!«, schrie ich.
Noch bevor die Pferde auch nur zum Trab verlangsamt hatten, riss Mike die Tür auf und sprang hinein.
»Es tut mir so leid«, sagte er und versuchte, mich zu küssen.
Ich war noch viel zu wütend und zu überrascht, um mich zu rühren.
»Ich hab versucht, dich anzurufen. Ich wusste, dass du ausflippen würdest. Ich … ich hab nur ein bisschen Zeit gebraucht, um über alles nachzudenken, nachdem …« Er nahm meine Hände.
Ich entzog ihm meine rechte Hand und wedelte ungeduldig damit. »Kriechen kannst du später, jetzt müssen wir uns vorbereiten. Wir haben genau drei Minuten, um uns in königliche Stimmung zu versetzen.«
Ich reichte Mike einen Ausdruck der Krönungsrede.
»Deine Absätze sind blau, meine rosa«, erklärte ich ihm.
»Hm«, machte Mike, »eigentlich …«
»Wir sind da!«, rief ich, als ich durch das Fenster das weinberankte Spalier sah, durch das wir hindurchschreiten würden. Gleich darauf hatte der Kutscher die Tür geöffnet. Als er mir hinaushalf, stieß er einen leisen Pfiff aus.
»Ich fahre diese Kutsche schon seit vielen Jahren zur Krönungszeremonie«, raunte er. »Aber der Stunt, den dein Junge da hingelegt hat, Prinzessin, so etwas hat es noch nicht gegeben. Lass ihn bloß nicht vom Haken, ja?«
Ich sah Mike an. »Oh, das habe ich nicht vor.«
Auf dem Rasen stand ein Streichquartett, das jetzt zu spielen begann, doch bald darauf vom Jubel der Leute übertönt wurde, die unsere Namen riefen und uns zuwinkten. Mike sagte kein Wort, sondern nahm nur meine Hand, und zusammen gingen wir den goldenen Teppich zur Bühne entlang.
Es war komisch, alles sah genau so aus, wie ich es mir immer vorgestellt hatte, genau so, wie ich es all die Jahre insgeheim geplant hatte.
Da stand meine Mutter in ihrem engen jasmingemusterten Schlauchkleid und High Heels, Tränen in den Augen und Dicks Hand in der ihren. Auf der anderen Seite der Bühne standen die Kings, schmallippig lächelnd und gekleidet in teure Seidenkleider und -anzüge in aufeinander abgestimmten gedeckten Farben. Zu beiden Seiten der Bühne drängten sich die Prinzenpaare der letzten Jahrgänge, die an der Palmetto ihren Abschluss gemacht hatten, einschließlich Phillip Jr. und Isabelle. Alle unsere Freunde waren da, aufwendig herausgeputzt, und erwarteten mit großen Augen unsere Krönungsrede – und beim Empfang später intime Sexdetails von unserer Kutschfahrt.
Der einzige Teil meiner Vision, der nicht mit der Realität übereinstimmte, waren wir selbst: der Prinz und die Prinzessin von Palmetto. Wir gingen Hand in Hand, aber ich hatte das Gefühl, als trennten uns Welten.
Auf dem Podium neigte Mike sich zu mir, um mich auf die Wange zu küssen. Seine Lippen fühlten sich rau und trocken an. Ich schloss die Augen und versuchte, den höflichen Applaus zu genießen.
»Vielen Dank euch allen«, sagte Mike, als es still geworden war. Er räusperte sich und sah auf die Rede, die ich ihm ausgedruckt hatte.
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