Das böse Spiel der Natalie Hargrove (German Edition)
Führung kann alles wieder …«
»Nein«, sagte ich und spürte, wie das Zittern in meine Stimme zurückkehrte. »Die Dinge haben sich verändert. Mom und ich haben uns verändert. Wir sind weitergezogen.«
Meine Stimme klang angestrengt, so sehr hoffte ich, dass es wahr war.
»Komm rein.« Dad ignorierte meinen Einwand und hielt die Tür auf. »Ich mach uns einen Tee. Du siehst wunderschön aus, aber man sieht auch, dass es dir nicht gutgeht.«
Bevor Dad verschwand und Mom und ich wegzogen, hatte Onkel Leweys Trailer immer drei Plätze weiter gestanden. Nacht für Nacht waren darin wüste Junggesellenpartys gefeiert worden, und ich erwartete halb, einen Vorrat an Drogen und Alkohol vorzufinden und vielleicht noch eine schlafende Frau, die keiner kannte, in irgendeiner Ecke.
Aber als ich den Trailer betrat, wirkte er ordentlich und sauber, mit zwei schäbigen Platzdeckchen auf dem Tisch und einer seidenen Jasminblüte in einer kleinen Plastikvase. Es roch nach Desinfektionsmittel und Rasierschaum.
An der Wand über dem Küchentisch hing immer noch Dads Lieblingsfoto. Mom hatte es mit ihrer Einwegkamera unten am Hafen geschossen. Dad, Onkel Lewey und ich posierten vor dem berühmten Schild mit der Aufschrift Caught’er in Cawdor , das für die glücklichen Fischer dort stand, die einen Fisch von mehr als fünfzig Pfund gefangen hatten. Onkel Lewey hatte seinen Arm stolz unter den Kopf des gigantischen Fisches auf dem Bild geschoben, während Dad den Fischbauch stützte. Ich stand am Schwanzende und musste mich anstrengen, sein Gewicht zu halten. Ich war erst sechs Jahre alt, und obwohl ich es noch nicht wusste, hatte Dad damals schon begonnen, mich runterzuziehen.
»Wie du siehst, haben sich auch hier die Dinge verändert«, sagte er, während er den Instant-Tee in zwei Becher löffelte und mit kochendem Wasser auffüllte. »Ich bin nicht mehr der, den du mal gekannt hast. Meine Kumpels auf der Wache sagen, dass sie mich kaum wiedererkennen.«
Ich verdrehte die Augen. Wenn Dad von seinen Kumpels auf der Wache sprach, dann meinte er die Cops, die in der kurzen Zeit nach seiner Verhaftung und bevor die Betrugssache ans Licht kam, seine Bestechungsgelder angenommen hatten. Dad konnte tagelang über seine Kumpels auf der Wache reden. Als es hart auf hart kam, hatten sie ihm allerdings nichts genutzt. Ich konnte es nicht fassen, dass er überhaupt noch mit ihnen sprach.
»Was sagen deine Kumpels von der Wache denn zurzeit sonst noch so?«, fragte ich und sah angelegentlich in meinen Tee.
»Oh, stimmt ja.« Dad schnippte mit den Fingern. »Du wohnst ja jetzt auf der anderen Seite der Welt.« Er lachte leise. »Tja, wenn einem Reichen irgendwas Schlimmes passiert, dann regt sich alle Welt darüber auf. Anscheinend hat die alte Dame des toten Jungen den neuen Cop auf Hexenjagd geschickt.«
»Wie meinst du das?«, wollte ich wissen. Ich hatte gedacht, Officer Parker würde für die Schule arbeiten, nicht für Justins Familie.
»Weißt du, die Angehörigen fühlen sich immer besser, wenn so ein Fall abgeschlossen werden kann.« Er wedelte mit seiner Tasse herum und fuhr fort: »Verständlicherweise. Aber diese jungen Cops, die wollen am liebsten den erstbesten Kerl auf ihrer Liste festnageln. Das Dumme ist nur, dass der erstbeste Kerl auf ihrer Liste einer mit einem Alibi für die Mordnacht ist.«
»Ach ja?« Ich bemühte mich, so geringschätzig wie möglich zu klingen – ohne Dad vollends zu demotivieren. »Und haben dir deine Kumpels von der Wache auch etwas über die Einzelheiten dieses Alibis erzählt?«
»Das muss man sich mal vorstellen«, lachte Dad. »Der Junge war in der Entzugsklinik. Weil er viel zu sehr damit beschäftigt war, sich selbst zuzudröhnen, um einem anderen irgendwelche Drogen zu verabreichen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Aber Baxter ist nicht in der Klinik. Er war an dem Abend auf der Party.«
Dad nickte, als hätte er das alles schon ein paarmal gehört. »Das war so eine Nacht-und-Nebel-Aktion«, erklärte er, »da kommen sie einen holen, wenn man schläft. Ist natürlich sehr angenehm, dass es in der Nacht des Unfalls passiert ist, aber … Hey, Moment mal«, stutzte er plötzlich. »Was hast du eigentlich auf dieser Party gemacht?«
»Oh bitte! Du hast deine väterlichen Rechte schon vor Jahren verspielt!«, wehrte ich ab. »Mit wem hast du überhaupt geredet? Officer Parker? Weiß er, wann Baxter wieder rauskommt?«
Dad sah mich merkwürdig an und nahm langsam einen Schluck
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