Das Böse unter der Sonne
Armband vermisste – da wohnten wir im ‹Savoy› in London –, war der junge Mann, der mich deswegen befragte, ganz reizend, höchst sympathisch, entzückend. Und natürlich hatte ich das Armband gar nicht verloren, nur verlegt. Das ist das Schlimmste, wenn man soviel unterwegs ist, man vergisst ständig, wo man seine Sachen hingetan hat…» Mrs Gardener machte eine Pause, holte etwas Luft und legte wieder los: «Was ich damit sagen möchte – und ich weiß, dass Mr Gardener völlig meiner Meinung ist –, ich möchte sagen, dass wir der britischen Polizei in jeder Beziehung behilflich sein wollen. Wir tun alles, was in unseren Kräften steht. Fangen Sie nur an, und fragen Sie mich alles, was Sie wissen wollen…»
Oberst Weston öffnete seinen Mund, um dieser Einladung nachzukommen, musste aber seine Frage noch verschieben, weil Mrs Gardener inzwischen bereits weitersprach. «Nicht wahr, Odell, das sagte ich doch? Und es stimmt auch, nicht?»
«Ja, Liebling», erwiderte Mr Gardener.
«Soviel ich weiß», sagte Oberst Weston hastig, «waren Sie, Mrs Gardener, und Ihr Mann den ganzen Vormittag am Strand?»
Ausnahmsweise gelang es Mr Gardener, seiner Frau zuvorzukommen. «Ja», antwortete er.
«Natürlich waren wir am Strand», rief Mrs Gardener. «Und was für ein schöner, friedlicher Vormittag es war, genau wie alle anderen, wenn Sie verstehen, was ich meine, vielleicht war es sogar noch friedlicher. Und keiner von uns hatte auch nur die geringste Ahnung, was da gleich um die Ecke, in der nächsten Bucht, passierte.»
«Haben Sie Mrs Marshall heute gesehen?»
«Nein. Und ich bemerkte noch zu Odell: ‹Wo steckt nur diese Mrs Marshall heute Morgen?› Erst tauchte ihr Mann auf und suchte nach ihr, dann dieser gut aussehende junge Mann, Mr Redfern. Mein Gott, wie ungeduldig er war, obwohl er nur dasaß und alle Leute wütend anstarrte. Und ich fragte mich insgeheim, warum er dieser schrecklichen Frau nachlaufen musste, wo er doch so eine reizende kleine Frau hatte. Denn das dachte ich von ihr, nicht wahr, Odell?»
«Ja, Liebling.»
«Ich begreife nicht, wie dieser nette Captain Marshall so eine Frau heiraten konnte. Wo er doch eine heranwachsende Tochter hat. Und es ist so wichtig, dass die jungen Mädchen in der richtigen Umgebung aufwachsen. Mrs Marshall war ganz und gar nicht geeignet – keine Erziehung –, ein sehr animalisches Wesen. Wenn Captain Marshall auch nur ein wenig Vernunft besessen hätte, würde er Miss Darnley geheiratet haben, eine sehr charmante Frau und aus bestem Stall. Ich muss gestehen, ich bewundere die Art und Weise, wie sie sich ihr Geschäft aufgebaut hat, noch dazu ein erstklassiges Unternehmen. Dazu braucht man Köpfchen. Man muss Rosamund Darnley nur ansehen, um zu erkennen, was für eine kluge Person sie ist. Sie wird immer erreichen, was sie erreichen will. Ich bewundere sie mehr, als ich sagen kann. Und erst gestern sagte ich zu Mr Gardener, dass sogar ein Blinder merkt, wie verliebt sie in Captain Marshall ist. Ich glaube, ich sagte, dass sie verrückt nach ihm sei, nicht wahr, Odell?»
«Ja, Liebling.»
«Anscheinend kennen sie sich seit ihrer Kinderzeit. Wer weiß, vielleicht kommt jetzt alles in Ordnung, seine Frau ist tot und… ich habe ein weites Herz, Oberst Weston, nicht dass ich es missbilligen würde, wenn eine Frau zur Bühne geht, doch ich sagte noch zu Mr Gardener, dass diese Frau keine gute Ausstrahlung hat. Und Sie sehen, dass ich Recht habe.»
Sie schwieg triumphierend.
Hercule Poirot verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln. Eine Minute lang blickte er Mr Gardener in die schlauen grauen Augen.
«Nun, vielen Dank, Mrs Gardener», sagte Oberst Weston etwas verzweifelt. «Ich nehme an, dass keiner von Ihnen beiden etwas bemerkt hat, was für unseren Fall von Wichtigkeit sein könnte?»
«Nein, ich glaube nicht», sagte Mr Gardener gedehnt. «Mrs Marshall war die meiste Zeit mit dem jungen Redfern zusammen – doch das kann Ihnen jeder andere auch erzählen.»
«Und wie steht’s mit ihrem Mann? Hatte er etwas dagegen? Was glauben Sie?»
«Captain Marshall ist sehr reserviert», antwortete Mr Gardener vorsichtig.
Mrs Gardener bestätigte dies. «Er ist sehr britisch», sagte sie.
Auf Major Barrys rotem Gesicht spiegelten sich verschiedene Gefühle wider, die alle die Oberherrschaft gewinnen wollten. Er bemühte sich, entsetzt zu wirken, wie es sich gehörte, konnte aber eine Art von verschämtem Behagen nicht ganz unterdrücken.
«Es
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