Das Bourne-Attentat
bedeutete, dass man die Anzahl der Personen durch zwei teilen musste; eine Brücke hieß, dass die Anzahl mit zwei zu multiplizieren war, und so weiter.
Willard löschte das Foto von seinem Handy, dann nahm er den dritten Teil der Post und begann den ersten Artikel auf Seite drei zu lesen. Er begann mit dem dritten Wort und entzifferte so Stück für Stück der Botschaft, die seine Anweisung, aktiv zu werden, darstellte. Während er sich durch den Artikel arbeitete und dabei bestimmte Buchstaben durch andere ersetzte, begann sich tief in seinem Inneren etwas zu regen. Er war drei Jahrzehnte lang Auge und Ohr des Alten innerhalb der NSA gewesen, und der plötzliche Tod des Alten im vergangenen Jahr hatte ihn zutiefst betrübt. Dann hatte er LaValles neuerlichen Versuch beobachtet, sich die CI einzuverleiben, und hatte darauf gewartet, dass sein Telefon klingelte, doch unerklärlicherweise blieb sein Wunsch, ein Foto auf seinem Display zu sehen, monatelang unerfüllt. Er verstand einfach nicht, warum ihn die neue DCI nicht einsetzte. Konnte es sein, dass Veronica Hart gar nicht wusste, dass er existierte? Es sah jedenfalls ganz so aus, vor allem nachdem LaValle Soraya Moore und ihren Begleiter ertappt hatte; er wusste, dass der Mann namens Tyrone immer noch »unter Deck«, wie er es nannte, gefangen gehalten wurde. Willard tat, was er konnte, für den jungen Mann, auch wenn es denkbar wenig war. Doch er wusste, dass auch der kleinste Hoffnungsschimmer – das Wissen, nicht allein zu sein – oft genügte, um einem tapferen Menschen neue Kraft zu geben, und wenn ihn seine Menschenkenntnis nicht täuschte, dann war Tyrone ein tapferer Bursche.
Willard hatte sich schon als Junge gewünscht, Schauspieler zu werden – Laurence Olivier war sein Gott –, doch er hätte sich nicht in seinen kühnsten Träumen gedacht, dass er den Beruf des Schauspielers in der politischen Arena ausüben würde. Er war durch einen Zufall dazu gekommen, als er auf der College-Bühne die Rolle des Henry V. spielte, einer der großen tragischen Figuren von Shakespeare. Als der Alte nach der Vorstellung zu ihm kam, um ihm zu gratulieren, erklärte er Willard, dass Heinrichs Verrat an Falstaff politischer, nicht persönlicher Natur sei, und auch Früchte trage. »Wie würde es Ihnen gefallen, so etwas im wirklichen Leben zu machen?«, hatte der Alte ihn gefragt. Er war ins College gekommen, um Leute für die CI zu rekrutieren. Er war der Meinung, dass er seine Leute oft an den unwahrscheinlichsten Orten fände.
Als Willard mit dem Entziffern fertig war, hatte er seine unmittelbaren Anweisungen, und er war froh, dass man ihn nach dem Tod des Alten nicht vergessen hatte. Er fühlte sich wie sein alter Freund Henry V., auch wenn mehr als dreißig Jahre vergangen waren, seit er zum letzten Mal auf einer Theaterbühne gestanden hatte. Einmal mehr war er aufgerufen, seine größte Rolle zu spielen, die ihm mittlerweile zur zweiten Natur geworden war.
Er faltete die Zeitung zusammen und klemmte sie sich unter den Arm, dann nahm er sein Handy und machte sich auf den Weg. Seine Pause dauerte noch zwanzig Minuten – mehr als genug Zeit, um das zu tun, was von ihm verlangt wurde. Die Anweisung lautete, die Digitalkamera zu finden, die Tyrone bei sich hatte, als er gefasst wurde. Er steckte den Kopf kurz in die Bibliothek und sah zu seiner Zufriedenheit, dass LaValle immer noch mit Soraya Moore an seinem gewohnten Platz saß, und so ging er rasch den Flur entlang.
Der Alte hatte ihn zwar rekrutiert, doch es war Alex Conklin gewesen, der ihn ausbildete. Conklin war, wie ihm der Alte versicherte, der beste Mann, wenn es darum ging, Agenten auf ihren Einsatz vorzubereiten. Willard erfuhr bald, dass Conklin noch eine andere Aufgabe wahrnahm; er verstand es meisterhaft, inaktive Agenten, sogenannte Schläfer, zu betreuen. Die Ausbildung bei Conklin dauerte fast ein Jahr und fand nicht in der Cl-Zentrale statt. Willard gehörte Conklins Projekt namens Treadstone an, das so geheim war, dass selbst innerhalb der CI nur wenige davon wussten. Nachdem der Alte für ihn die Rolle innerhalb der NSA vorgesehen hatte, musste er auch der eingehendsten Überprüfung standhalten.
All das ging Willard durch den Kopf, als er die Gänge des NSA-Hauses durchquerte. Er kam an einem Agenten nach dem anderen vorbei und wusste, dass er seinen Job stets perfekt ausgeübt hatte. Er war der unverzichtbare Niemand, die Person, die immer anwesend war, auf die aber niemand
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