Das Bourne Duell
Marlon Etana.«
»Komischer Name.« Arkadin hatte das Gefühl, dass er den Namen schon einmal gehört hatte, doch er wusste nicht mehr, in welchem Zusammenhang.
»Noch seltsamer ist, dass man überhaupt keine Informationen über Marlon Etana findet.«
»Ah, bestimmt ein Pseudonym.«
»Das sollte man annehmen, ja. Nur müsste es dann auch eine Geschichte dazu geben, damit das Pseudonym real wird. Aber ich habe absolut nichts gefunden – nur dass er ein Gründungsmitglied des Monition-Klubs ist, der Niederlassungen auf der ganzen Welt hat, aber die Zentrale scheint in Washington D.C. zu sein.«
»Vielleicht eine geheime Abteilung der CI oder einer der vielen Hydraköpfe des amerikanischen Verteidigungsministeriums.«
Iwan Wolkin gab einen knurrigen Laut von sich. »Wenn du es herausfindest, ruf mich an, Leonid Danilowitsch.«
»Wenn du etwas herausfindest, ruf mich sofort an«, hatte Arkadin vor einigen Monaten zu Tracy gesagt. »Ich will alles wissen, was du über Don Fernando Herrera rauskriegen kannst, auch scheinbar unwichtige Kleinigkeiten.«
»Auch die Häufigkeit seines Stuhlgangs?«
Er sah sie mit seinen funkelnden Augen an, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie saßen in einem Café in Campione d’Italia, einem kleinen italienischen Steuerparadies mitten in den Schweizer Alpen. Das malerische Städtchen lag an einem klaren blauen Bergsee, auf dem Boote in allen Größen ihre Kreise zogen, vom Ruderboot bis zur millionenteuren Jacht, komplett mit Hubschrauberlandeplatz, Helikopter und, auf der größten Jacht, auch einigen attraktiven weiblichen Passagieren.
In den fünf Minuten, bevor sie kam, hatte Arkadin die
riesige Jacht beobachtet, auf der sich zwei langbeinige Models mit perfekt getönter Haut präsentierten, als würden sie für die Paparazzi posieren. Während er seinen Espresso aus der winzigen Tasse schlürfte, die in seiner großen Hand kaum zu sehen war, dachte er: Wenn man der König ist, gehört einem das alles . Dann sah er den nackten behaarten Rücken des Königs auf der Jacht und wandte sich angewidert ab. Man kann einen Menschen aus der Hölle herausholen, aber die Hölle bekommt man nicht aus dem Menschen heraus. Das war eine Weisheit, die Arkadin nie vergaß.
Dann war Tracy aufgetaucht, und er dachte nicht mehr an die Hölle von Nischni Tagil, die ihn quälte wie ein immer wiederkehrender Albtraum. Nischni Tagil war die Stadt, in der er aufgewachsen war, die Stadt, in der ihm die Ratten eines Tages drei Zehen vom linken Fuß fraßen, nachdem ihn seine Mutter in einen Wandschrank gesperrt hatte, die Stadt, in der er unzählige Male getötet hatte und immer wieder knapp dem Tod entgangen war. Nischni Tagil war der Ort, wo er alles verloren hatte – man könnte fast sagen, wo er gestorben war.
Er bestellte für Tracy einen Espresso mit Sambuca, eines ihrer Lieblingsgetränke. Während er ihr schönes Gesicht betrachtete, spürte er wieder die widersprüchlichen Gefühle, die sie in ihm hervorrief. Er fühlte sich enorm zu ihr hingezogen, aber gleichzeitig hasste er sie. Er hasste ihre Bildung, ihr großes Wissen. Jedes Mal, wenn sie den Mund aufmachte, erinnerte sie ihn daran, wie ungebildet er selbst war. Und was das Ganze noch schlimmer machte – er lernte tatsächlich jedes Mal etwas Wertvolles, wenn er mit ihr zusammen war. Ist es
nicht oft so, dass man seine Lehrer verachtet, die einen ihr überlegenes Wissen spüren lassen? Und jedes Mal, wenn er etwas von ihr lernte, wurde ihm klar, wie untrennbar er mit ihr verbunden war und wie sehr er sie brauchte. Dementsprechend überschüttete er sie förmlich mit Geld und Geschenken, wenn sie einen Auftrag für ihn erledigt hatte.
Sie hatte nie mit ihm geschlafen. Er hatte nicht versucht, sie ins Bett zu bekommen, aus Angst, dass die Leidenschaft seine eiserne Selbstbeherrschung aufweichen könnte, dass er sie am Hals packen und würgen könnte, bis ihre Zunge herauskam und sich ihre Augen verdrehten. Er würde ihren Tod bedauern. Über die Jahre hatte sie sich als unverzichtbar erwiesen. Ihr Insiderwissen hatte es ihm ermöglicht, ihre reichen Kunstkäufer zu erpressen oder heimlich für seine Zwecke zu benutzen, indem er in den Kisten, in denen ihre wertvollen Kunstwerke transportiert wurden, Drogen in alle Teile der Welt lieferte.
Tracy fuhr mit der Zitronenschale über den Rand ihrer Tasse. »Was ist so Besonderes an Don Fernando?«, wollte sie wissen.
»Trink deinen Espresso.«
Sie starrte auf ihre Tasse hinunter,
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