Das Bourne Imperium
Schein trügt. Macao ist chinesisch, und die Fäden werden in Peking gezogen.
Niemals! Auf keinen Fall in Macao! Dann wird schnell ein Befehl erteilt und noch schneller ausgeführt werden! Dann stirbt Ihre Frau!
Aber der Meuchelmörder war in Macao, das Chamäleon musste sich Zugang zu einem weiteren Dschungel verschaffen.
Jedes Gesicht musternd und in die von Schatten verhüllten Winkel des engen, voll gepackten Terminals spähend, ließ Bourne sich von der Menschenmenge auf den Pier des Tragflügelbootes nach Macao schieben, eine Fahrt, die etwas über eine Stunde dauerte. Die Passagiere teilten sich in drei ganz deutliche Kategorien: Bewohner der portugiesischen Kolonie, die zurückkehrten – vorwiegend Chinesen, die schwiegen; berufsmäßige Spieler verschiedener Rassen, die sich leise unterhielten, wenn sie überhaupt redeten, und sich dabei dauernd umsahen, um die Konkurrenz einzuschätzen; und außerdem lärmende Touristen, ausschließlich Weiße, viele von ihnen betrunken, mit merkwürdigen Hüten und grellbunten Tropenhemden.
Er hatte Shenzen verlassen und den Drei-Uhr-Zug von Lo Wu nach Kowloon genommen. Die Fahrt war anstrengend,
er war gefühlsmäßig wie ausgepumpt und sein Denkvermögen irgendwie gelähmt. Er war dem Killer so nahe gewesen. Wenn er den Mann aus Macao auch nur den Bruchteil einer Minute hätte isolieren können, dann hätte er ihn gehabt! Es gab Mittel und Wege. Sie hatten beide Visa, die in Ordnung waren; ein Mann, der sich vor Schmerz zusammenkrümmte, weil seine Kehle so verletzt war, dass er kein Wort herausbrachte, ließ sich leicht als Kranker ausgeben, ein nicht willkommener Besuch, den sie mit Freuden würden gehen lassen. Aber es hatte nicht sein sollen, nicht diesmal. Wenn er ihn nur wenigstens hätte sehen können!
Und dann die verblüffende Entdeckung, dass dieser neue Meuchelmörder, diese Legende, die gar keine Legende war, sondern ein brutaler Killer, Kontakte zur Volksrepublik hatte. Das war ungeheuer beunruhigend, denn wenn die chinesische Regierung zu einem solchen Mann Verbindungen hatte, dann nur, um ihn zu benutzen. Das war eine Komplikation, die David gar nicht recht war. Das hatte überhaupt nichts mit Marie und ihm zu tun, und sie beide waren das Einzige, was ihm wichtig war. Alles, was ihm wichtig war! Jason Bourne: Du musst den Mann aus Macao holen!
Er war zum Peninsula zurückgegangen und hatte unterwegs kurz im New World Centre Halt gemacht, um sich eine dunkle, hüftlange Nylonjacke und ein Paar dicksohlige Turnschuhe zu kaufen. David Webbs Furcht nahm überhand. Jason Bourne plante, ohne bewusst einen Plan zu haben. Er bestellte sich eine leichte Mahlzeit auf das Zimmer und stocherte in dem Essen herum, während er auf der Bettkante saß und sich, ohne etwas aufzunehmen, eine Nachrichtensendung im Fernsehen ansah. Dann legte David sich zurück, schloss kurz die Augen und überlegte, woher die Worte kamen. Ruhe ist eine Waffe. Vergiss das nie. Bourne wachte fünfzehn Minuten später auf.
Jason hatte sich während des Berufsverkehrs an einer Verkaufsstelle in Tsim Sha Tsui ein Ticket für das Boot um acht Uhr dreißig gekauft. Um sicherzugehen, dass man ihm nicht folgte – und er musste absolut sicher sein –, hatte er
dreimal das Taxi gewechselt und sich bis auf fünfhundert Meter an den Pier der Macao-Fähre bringen lassen, und zwar eine Stunde vor der Abfahrt. Den Rest des Weges war er zu Fuß gegangen. Dann hatte er ein Ritual praktiziert, das man ihm in seiner Ausbildungszeit beigebracht hatte. Die Erinnerung an jene Ausbildung war nur schemenhaft, nicht aber das Ritual. Er war vor dem Terminal in den Menschenscharen untergetaucht, hatte sich im Zickzack bewegt, von einem Punkt zum anderen, und war dann ganz plötzlich reglos am Rand stehen geblieben, hatte sich auf die Bewegungsmuster hinter ihm konzentriert und sich umgesehen, ob da jemand war, den er Augenblicke vorher gesehen hatte, ein Gesicht oder ein Paar ängstlicher Augen, die auf ihn gerichtet waren. Da war niemand gewesen. Und doch hing Maries Leben davon ab, dass er ganz sicher war, und so hatte er das Ritual noch zweimal wiederholt, ehe er schließlich den schwach beleuchteten Warteraum betreten hatte. Er sah sich immer noch nach einem angespannten Gesicht um, einem Kopf, der sich drehte, einer Person, die unruhig dasaß und jemanden suchte. Doch auch diesmal war da niemand gewesen. Er war frei und konnte nach Macao fahren. Und nach dort war er jetzt unterwegs.
Er saß auf einem
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