Das Bourne Ultimatum
meisten Arsenale überall auf der Welt hatte auch Kubinka keine Fenster im Erdgeschoss, zumindest nicht auf den ersten fünf Metern vom Boden. Er nahm an, dass es daran lag, dass gelegentlich wild galoppierende Pferde und Glas nicht zusammenpassten. Dort, wo er den ersten Stock vermutete, war ein Fensterrahmen zu sehen, nah genug am ermordeten Fahrer, um für eine schallgedämpfte Hochleistungswaffe die größtmögliche Genauigkeit zu sichern. Ein anderer Rahmen auf Bodenhöhe besaß einen herausragenden Griff. Es war der Hintereingang, den niemand erwähnt hatte.
Die kleinen Dinge, die unwichtigen Dinge! Gottverdammt!
Die Musik im Inneren schwoll wieder an, aber jetzt war das Anschwellen anders, die Trommeln lauter, die Trompeten getragener, durchdringender. Es war das unverkennbare Ende eines symphonischen Marsches, leidenschaftlichste Militärmusik... Das war es! Das Ende der Veranstaltung im Inneren stand bevor, und der Schakal würde die herauskommende Menge als Schutz für seine Flucht benutzen: Er würde sich unter sie mischen, und wenn sich auf dem Parkplatz beim Anblick des toten Mannes und der zerschossenen Limousine Panik ausbreitete, würde er verschwinden - mit wem und mit welchem Fahrzeug, es würde Stunden dauern, bis man es würde feststellen können.
Bourne musste hinein. Er musste ihn aufhalten, ihn fassen! Krupkin hatte sich Sorgen um das Leben ›mehrerer Dutzend Männer und Frauen‹ gemacht - und er hatte keine Ahnung, dass es in Wahrheit womöglich mehrere Hundert waren! Carlos würde alles tun, um eine Massenhysterie hervorzurufen, in der er entkommen konnte. Leben bedeuteten ihm nichts. Falls weitere Morde nötig wurden, um sein eigenes zu retten. Delta one ließ alle Vorsicht außer Acht, rannte zur Tür, hielt seine AK-47 seitlich unterm Arm, die Sicherung gelöst, den Zeigefinger am Abzug. Er packte den Türgriff und drehte ihn - er wollte sich nicht bewegen lassen. Er feuerte mit seiner Waffe in die Metallplatte um das Schloss herum, dann
eine zweite Salve in den sie umgebenden Rahmen, und als er nach dem qualmenden Griff langte, schien die Welt durchdrehen zu wollen!
Aus der Reihe der geparkten Fahrzeuge schoss plötzlich ein schwerer Lastwagen hervor, kam direkt auf ihn zu und beschleunigte wie wild. Gleichzeitig brachen immer wieder Feuerstöße aus einer automatischen Waffe hervor, deren Kugeln rechts neben ihm ins Holz schlugen. Er machte einen Satz nach links, rollte über den Boden, Staub und Schmutz in seinen Augen, als er immer weiterrollte, sein Körper eine Röhre, die davonwirbelte.
Und dann geschah es! Eine ungeheure Explosion zerfetzte die Tür und riss gleichzeitig ein großes Stück aus der Wand darüber heraus, und durch den schwarzen Rauch und die herabfallenden Trümmer konnte Jason eine Gestalt erkennen, die unbeholfen zu den Autos hinübertaumelte. Der Killer entkam am Ende doch noch. Aber Delta one lebte! Und der Grund dafür war offensichtlich: Der Schakal hatte einen Fehler gemacht. Nicht in der Art Falle, die er ihm gestellt hatte, sie war außergewöhnlich. Carlos wusste, dass sein Feind mit Krupkin und dem KGB zusammenarbeitete, und daher war er nach draußen gegangen und hatte auf ihn gewartet. Sein Fehler hatte in der Platzierung des Sprengstoffs bestanden. Er hatte die Bombe - oder die Bomben - oben auf dem Motor des Lastwagens verdrahtet, nicht darunter . Sprengstoffe suchen sich den Weg des geringsten Widerstands. Die relativ dünne Haube eines Fahrzeugs ist weit weniger solide als das Eisen darunter. Die Bombe war hochgegangen, im wahrsten Sinne des Wortes, und hatte so keine todbringenden Metallteile in Bodenhöhe hinter Jason herschicken können.
Bourne kämpfte sich auf die Beine und stolperte zur Komitet-Limousine hinüber, denn eine schreckliche Angst baute sich in ihm auf. Er sah durch die zerschossenen Scheiben, und sein Blick blieb am Vordersitz hängen, wo eine fleischige Hand erhoben wurde. Er riss die Tür auf und sah Krupkin, dessen großer Körper zwischen Sitz und Armaturenbrett eingeklemmt war, die rechte Schulter halb weggerissen, durch
den Stoff seiner Jacke hindurch sah man heftig blutendes Fleisch.
»Wir sind verletzt«, sagte der KGB-Offizier schwach, aber ruhig. »Aleksej ein bisschen mehr als ich, also kümmern Sie sich erst um ihn, wenn Sie so nett wären.«
»Die Leute werden gleich aus dem Arsenal kommen...«
»Hier!«, unterbrach ihn Krupkin, griff unter Schmerzen in seine Tasche und holte einen Plastikausweis hervor.
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